History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Als die Athener sahen, daß der Hafen gesperrt werden sollte, und merkten, worauf es dann weiter abgesehen war, hielten sie es für nötig, darüber zu Rate zu gehen, und die Feldherren und Hauptleute traten zu einem Kriegsrat zu­ sammen. Angesichts ihrer bedenklichen Lage, namentlich da sie jetzt keine Lebensmittel mehr hatten - denn als sie abfahren wollten, hatten sie in Katana die Zufuhr abbestellt - und auch künftig nicht haben konnten, beschlossen sie, die Werke weiter oben aufzugeben, in unmittelbarer Nähe der Schiffe aber einen Fleck, wie er zur Aufnahme des Gepäcks und der Kranken allenfalls genügte, zu befestigen nnd zu besetzen, das ganze übrige Heer aber bis auf den letzten Mann einzuschiffen und sämtliche Schiffe, gleichviel ob mehr oder weniger tauglich, damit zu bemannen und es auf eine Seeschlacht ankommen zu lassen. Dann aber wollten sie, falls sie isegten, nach Katana fahren, sonst aber die Schiffe verbrennen und mit dem Land­ heere in Schlachtordnung abziehen und möglichst bald einen

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befreundeten, sei es griechischen sei es nichtgriechischen Ort zu erreichen suchen. Und wie sie eS beschlossen, so machten sie eS auch. Aus den Werken weiter oben zogen sie in aller Stille ab und bemannten alle ihre Schiffe, indem sie jeden, der körperlich noch irgend brauchbar schien, zwangen, an Bord zu gehen. So wurden dann auch die sämtlichen etwa hundert­ undzehn Schiffe voll besetzt. Auch viele Speer- und Dogen­ schützen aus der Zahl ihrer akarnanishcen und anderen Söldner wurden miteingeschifft und alle sonst erforderlichen Vorkehrungen getroffen, soweit das bei einem so im Dränge der Not gefaßten Plane möglich war. Als alles bereit, ließ Nikias, welcher sah, wie seinen Leuten nach den mehrfachen ungewohnten Nieder­ lagen zur See der Mut gesunken war, und bei dem Mangel an Lebensmitteln je eher je lieber eine Schlacht zu liefern wünschte, sie alle zusammenkommen und suchte sie erst durch folgende Ansprache zu ermutigen.

„Kameraden, Landsleute und Bundesgenossen! Wir gehen in einen Kampf, in dem es für alle dasselbe gilt. Wir kämpfen, so gut wie unsere Feinde, für Leben und Vaterland. Wenn wir jetzt mit der Motte einen Sieg erringen, so haben wir alle die Aussicht, Heimat und Vaterland noch einmal wiederzusehen. Darum dürft ihr den Mut nicht sinken lassen und euch nicht gebärden wie unerfahrene Neulinge, die nach den ersten unglück­ lichen Gefechten gleich meinen, es werde ihnen auch künftig nicht besser gehen. Vielmehr müßt ihr alle hier, Athener so­ wohl, die ihr schon manchen Krieg mitgemacht, als auch Bundes­ genossen, die ihr an unseren Feldzügen stets teilgenommen habt, eingedenk sein, daß im Kriege immer Dinge vorkommen, auf die man nicht gerechnet hat, und in der Hoffnung, das Glück werde sich auch einmal wieder für uns erklären, von neuem in den Kampf gehen, um, wie es diesem großen Heere, das ihr hier jetzt beisammen seht, geziemt, die Scharte auszuwetzen.

„Alle Vorkehrungen, von denen wir uns überzeugt, daß sie uns in dem bei der Enge des Hafens unvermeidlichen Ge­ dränge der Schiffe und gegenüber den uns früher gefährlich ge­ wordenen Einrichtungen auf den Verdecken der Feinde von Nutzen

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sein würden, haben auch wir jetzt, soweit möglich, nach Beratung mit den Steuerleuten getroffen. Wir werden zahlreiche Speer- und Bogenschützen und sonstige Mannschaft in Menge an Bord nehmen. Wollten wir in offener See schlagen, so würden wir das allerdings nicht dürfen, weil die schwere Belastung der Schiffe ihrer Geschicklichkeit Abbruch tun könnte, hier aber, wo wir auf unseren Schiffen gewissermaßen eine Landschlacht zu liefern gezwungen sind, wird es uns zum Vorteil gereichen. Wir haben uns alles ausgedacht, was erforderlich war, um die Leistungsfähigkeit unserer Schiffe zu erhöhen, so gegen ihre uns besonders gefährlich gewordenen schweren Sturmbalken Griffe mit eisernen Händen, welche das feindliche Schiff hindern werden, nach dem Zusammenstoß rückwärts zu rudern, falls die Mannschaft auf dem Verdeck ihre Schuldigkeit tut. Denn so­ weit ist es ja jetzt mit uns gekommen, daß wir auf den Schiffen wie zu Lande fechten müssen, und deshalb ist es offenbar für uns vorteilhaft, weder selbst rückwärts zu rudern, noch es den Feinden zu gestatten, zumal der Strand bis auf einen kleinen, von unseren Truppen besetzten Fleck in Feindes Hand ist.

„Das müßt ihr euch merken und im Gefecht eure letzte Kraft einsetzen, euch nicht auf den Strand jagen lassen, sondern das Schiff nach dem Zusammenstoß festhalten, bis ihr die Mann­ schaft von dem feindlichen Verdeck über Bord geworfen habt. Und mehr noch als den Matrosen mache ich das den Soldaten zur Pflicht, da es sich dabei recht eigentlich um eine Aufgabe des Landheeres handelt, und deshalb können wir jetzt, wo bei ihm die Entscheidung liegt, auf den Sieg hoffen. Den Matrosen aber möchte ich raten und zugleich an sie die Bitte richten: Nehmt euch unsere Niederlagen nicht zu sehr zu Herzen. Die Einrichtungen auf den Verdecken sind jetzt besser, und die Zahl unserer Schiffe ist größer. Ihr galtet bisher, auch wenn ihr es nicht wart, für Athener. Weil euch unsere Sprache ge­ läufig war und ihr unsere Sitten angenommen, wart ihr in Griechenland überall hoch angesehen, habt auch die Vorteile unserer Herrschaft, den Respekt bei unseren Untertanen und die Sicherheit vor Beleidigungen mit uns in vollem Maße

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genossen; bedenkt also, daß es wohl der Mühe wert ist, euch solche Vorzüge zu erhalten. Es wäre deshalb sehr unrecht, wolltet ihr, die einzigen freiwilligen Gefährten unserer Herr­ schaft, uns jetzt im Kampfe um diese im Stich lassen. Ihr werdet doch die Korinther nicht fürchten, die ihr so oft besiegt, oder diese sizilischen Griechen, die, solange unsere Seemacht auf der Höhe stand, nie gewagt haben, euch die Spitze zu bieten. Geht ihnen also nur tapfer zu Leibe und zeigt ihnen, daß eure Geschicklichkeit auch nach Verlusten und Niederlagen immer noch jedem Gegner überlegen ist, auch wenn ihm das Glück einmal den Sieg in den Schoß geworfen.

„Euch Athener unter uns aber muß ich von neuem daran erinnern, daß ihr zu Hause weder Schiffe, wie diese hier, auf den Werften, noch junge Mannschaft hinter euch habt. Ihr müßt also unbedingt siegen, sonst werden sich unsere hiesigen Feinde sofort dahin aufmachen und unsere Landsleute dort außerstande sein, sich gegen ihre dortigen Gegner und die neuen Feinde zu behaupten. Ihr hier würdet den Syrakusern ohne weiteres zur Beute fallen - wißt ihr doch, was ihr selbst mit ihnen im Sinne gehabt habt -, und euere Mitbürger dort würden den Lakedämoniern unterliegen. Der Kampf, in den ihr geht, wird also zugleich über ihr und euer Schicksal entscheiden. Darum, wenn je, so steht heute euren Mann und beherzigt, einer für alle und alle für einen, daß ihr hier auf euren Schiffen die Land- und Seemacht der Athener seid, und daß die letzte Hoffnung und der große Name unserer Stadt auf euch beruht, auch daß sich jedem, der es anderen an Geschick­ lichkeit und Mut zuvortut, wohl niemals eine schönere Ge­ legenheit bieten wird, es zu seinem Besten und zum Heil des Ganzen zu bewähren."

Nachdem Nikias die Leute also ermutigt hatte, ließ er sie sogleich an Bord gehen. Gylippos und die Syrakuser, unter deren Augen das alles vorging, merkten natürlich, daß die Athener eine Seeschlacht liefern wollten. Auch hatten sie schon von der beabsichtigten Anwendung der eisernen Hände gehört und, wie überhaupt, so auch dagegen ihre Vorsichts­

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maßregeln getroffen. Sie überzogen nämlich den Bug und einen großen Teil des Verdecks ihrer Schiffe mit frischen Tier­ häuten, damit die darauf geworfene Hand abglitte und keinen Halt hätte.

Als man mit allem fertig war, ermutigten Gylippos und die übrigen Feldherren die ihrigen mit folgenden Worten:

„Daß wir bisher schon Ehre eingelegt haben und uns auch in dem bevorstehenden Kampfe mit neuem Ruhm bedecken werden, Syrakuser und Bundesgenossen, davon seid ihr wohl längst meist selbst überzeugt, sonst wärt ihr schwerlich so wacker draufgegangen, und wenn dies wirklich diesem oder jenem unter euch noch nicht genügend klar geworden sein sollte, so wollen wir ihn darüber aufklären. Diesen Athenern, die uns hier ins Land gekommen sind, um erst Sizilien, und wenn es ihnen damit geglückt, auch noch den Peloponnes und ganz Griechenland zu unterwerfen, und es zu einer Macht gebracht haben wie weder sonst noch jetzt ein anderer griechischer Staat, denen habt ihr zum erstenmal zur See, die sie völlig beherrschten, die Spitze geboten und sie schon in mehreren Schlachten be­ siegt, und sicherlich werdet ihr sie auch diesmal wieder besiegen. Denn wenn man auf einem Felde geschlagen ist, wo man sich anderen überlegen glaubte, ist es mit dem Gefühl der Über­ legenheit schlechter bestellt, als wenn man es vorher überhaupt nicht gehabt, und nach einer dem Stolze so unerwarteten Nieder­ lage traut man sich selbst das nicht mehr zu, wofür die vor­ handenen Kräfte noch ausreichen würden. Und so wird es jetzt wahrscheinlich auch den Athenern gehen.