History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Als Gylippos sah, daß die Schiffe der Feinde besiegt und bis an das Pfahlwerk und ihren Lagerplatz zurückgeschlagen waren, rückte er mit einem Teile seines Heeres auf den Deich, um die Mannschaft bei der Landung niederzumachen und den Syrakusern, wenn der Strand in Freundes Hand wäre, die Wegnahme der Schiffe zu erleichtern. Die Thyrseuer aber, welche hier die Stellung der Athener deckten und die Feinde ohne Ordnung herankommen sahen, gingen gegen sie vor, warfen sich auf den Vortrab, schlugen sie in die Flucht und trieben sie in den Lysimeleiischen Sumpf. Als dann aber immer mehr Truppen der Syrakuser und ihrer Verbündeten eintrafen, nahmen auch die Athener, weil sie für ihre Schiffe bange wurden, den Kampf gegen sie auf, schlugen sie in die Flucht und töteten ihnen auf der Verfolgung einige Hopliten. Auch retteten sie ihre meisten Schiffe und bargen sie im Lager. Achtzehn aber hatten die Syrakuser und ihre Verbündeten ge­ nommen und die ganze Mannschaft getötet. Um auch die übrigen in Brand zu stecken, füllten sie ein altes Lastschiff mit Reisig und Kien, warfen Feuer hinein und ließen es mit dem Winde, der auf die Athener stand, auf sie zutreiben. In der Besorgnis um ihre Schiffe sannen die Athener auf Gegen- mittel, um das Feuer unschädlich zu machen, nnd es gelang

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ihnen, die Flamme zu ersticken und die Annäherung des Schiffes zu verhindern und dadurch die Gefahr abzuwenden.

Hierauf errichteten die Syrakuser ein Siegeszeichen, weil sie die Seeschlacht gewonnen, auch oben bei den Festungs­ werken die Hopliten abgeschnitten und dabei die Pferde erbeutet, die Athener aber, weil die Thyrsener das feindliche Fußvolk in den Sumpf getrieben und sie selbst dann auch das übrige Heer geschlagen hatten.

Nach diesem glänzenden Siege, den die Syrakuser, die sich anfangs vor der mit Demotshenes angekommenen neuen Flotte gefürchtet, nun auch zur See erfochten hatten, wurden die Athener völlig mutlos. So groß der Schmerz über den unerwarteten Verlauf des Krieges war, weit größer noch die Reue, daß man ihn unternommen. Hier zum erstenmal hatten sie Städte angegriffen, welche wie sie demokratisch verfaßt und mit Schiffen, Pferden und sonstigen Mitteln überreichlich ver­ sehen waren, Städte, die sie nicht durch die Aussicht auf Ver­ fassungsänderungen auf ihre Seite ziehen konnten, und denen sie auch im Kriege nicht wesentlich überlegen oder auch nur gewahcsen gewesen waren. Hatten sie schon vorher das Be­ denkliche ihrer Lage empfunden, so war das jetzt, nachdem sie, was sie nimmer geglaubt, auch mit der Flotte geschlagen waren, noch weit mehr der Fall.

Die Syrakuser kreuzten auch gleich ganz dreist mit ihren Schiffen im Hafen und beabsichtigten, dessen Einfahrt zu sperren, damit die Athener nicht etwa heimlich mit ihrer Flotte ent­ kämen. Denn es war ihnen schon nicht mehr bloß um ihre eigene Sicherheit, sondern um Vernichtung der Athener zu tun, da sie, und mit Recht, annahmen, daß sie ihnen nach den jetzigen Erfolgen weit überlegen seien. Würde es ihnen doch auch in den Augen der Griechen zu hohem Ruhm gereichen, wenn es ihnen gelänge, die Athener und ihre Verbündeten zu Lande und zur See zu demütigen; denn dann würden die übrigen Griechen entweder gleich frei werden oder doch von den Athenern nichts mehr zu fürchten haben, da diese mit dem Reste ihrer Macht den Krieg nicht länger durchführen könnten,

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sie aber den Ruhm, ihnen dazu verhelfen zu haben, und die höchste Bewunderung der Mit- und Nachwelt davontragen. Und in der Tat war dies für sie ein Kampf von höchster Be­ deutung, schon darum, aber auch deshalb, weil es sich darin nicht allein um einen Sieg über die Athener, sondern auch über deren zahlreiche Bundesgenossen handelte, und sie ihn nicht allein, sondern mit ihren Verbündeten ausfochten, dabei neben Lakedämoniern und Korinthern die Führung hatten, ihre Stadt zuerst in die Schanze schlugen und ihre Seemacht ge­ waltig ausdehnten. Denn bei dieser einen Stadt traf eine Menge Völker aufeinander, wenn auch nicht alle, welche in diesem Kriege überhaupt zu den Bundesgenossen der Athener und der Lakedämonier gehörten.

Folgende Völker nämlich tsanden sich bei Syrakus auf beiden Seiten im Kampfe für und wider Sizilien gegenüber und hatten sich dort zusammengefunden, entweder um dem einen das Land erobern zu helfen, oder um es mit dem anderen zu verteidigen. Dabei hielten sie nicht etwa mit Rücksicht auf Recht oder Ver­ wandtschaft zusammen, sondern wie es sich grade traf und^ jeder sich dazu durch seinen Vorteil oder durch äußeren Zwang genötigt sah. Da waren zunächst die Athener selbst, welche als Jonier aus freien Stücken den Krieg gegen die dorischen Syrakus er unter­ nommen hatten, und mit ihnen die Lemnier, Jmbrer und die da­ maligen Bewohner von Agina und der athenischen Kolonie Hestiaia auf Euboia, die alle noch mit ihnen dieselbe Sprache redeten und gleiches Recht hatten. Andere beteiligten sich als Untertanen oder als selbständige Bundesgenossen an dem Zuge, einige auch als Söldner. Zu den untertänigen und steuerpflich­ tigen Orten gehörten Eretria, Chalkis? Styra und Karystos auf Euboia, von den Inseln Keos, Andros und Tenos, in Ionien Milet, Samos und Chios. Chios zahlte jedoch keine Steuer, sondern stellte Schiffe unter eigener Flagge zur Bundesflotte. In der Hauptsache waren das alles bis auf die dryopische Bevölkerung von Karystos Jonier athenischer Abkunft, welche, wenn auch als Untertanen und gezwungen, doch wenigstens als Jonier den Zug gegen jene Dorier mitmachten. Dazu

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kamen aber auch Äolier aus Methymna, die zwar Untertanen, aber nicht steuerpflichtig waren, sondern Schiffe stellten, und aus Tenedos und Ainos, welche Steuern zahlten. Diese Aolier kämpften, nur weil sie mußten, gegen die zu den Syrakusern haltenden Böotier, von denen sie abstammten. Dagegen fochten die Platäer grade als Böotier mit rechtschaffenem Haß gegen ihre böotischen Landsleute. Rhodos und Kythera, beide dorisch, Kythera sogar von den Lakedämoniern besiedelt, stellten den Athenern Truppen gegen die Lakedämonier unter Gylippos, und Rhodos, eine Gründung von Argos, war gezwungen, gegen das dorische Syrakus und seine eigene Kolonie Gela, die es mit Syrakus hielt, Krieg zu führen. Von den Inseln im Westen des Peloponnes hatten sich Kephalenia und Zakyn­ thos den Athenern angeschlossen, da sie, wenn sie auch selb­ ständig waren, bei deren Übermacht zur See nicht wohl anders konnten. Kerkyra, das nicht nur dorisch, sondern sogar Tochter­ stadt von Korinth war, machte den Krieg gegen die Korinther und Syrakuser, obwohl es von jenen gegründet und mit diesen eines Stammesswar, nichtsdetsoweniger eifrig mit, vorgeblich weil es mußte, in der Tat aber aus Haß gegen die Korinther. Die Messenier, wie sie immer noch hießen, aus Naupaktos und Pylos, das damals im Besitz der Athener war, hatten auch mitgemußt, und auch einige Flüchtlinge aus Megara waren durch das Schicksal, das sie betroffen, dazu getrieben, gegen ihre eigenen alten Landsleute aus Selinus zu fechten. Dazu nun noch alle die übrigen, welche den Zug freiwillig mitmachten. Die Argeier, die sich nicht sowohl des Bündnisses wegen, als aus Haß gegen die Lakedämonier und aus Rücksichten auf augenblickliche Vorteile einzelner, Dorier gegen Dorier, den ionischen Athenern angeschlossen hatten; die Mantineer und andere Arkadier, welche gewohnt waren, als Söldner gegen jeden ihnen bezeichneten Feind zu fechten, und nicht bezweifel­ ten, daß auch die Arkadier auf seiten der Korinther diesen ebenfalls nur des Geldes wegen Kriegsdienste leisteten. Ebenso hatten Kreter und Ätolier sich für Sold anwerben lassen. Und so kam es, daß die Kreter, welche mit Rhodiern Gela
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gegründet hatten, nicht für ihre eigene Kolonie, sondern als Söldner unbedenklich gegen sie kämpften. Auch aus Akarna­ nien hatten sich manche zwar auch für gutes Geld, die meisten aber doch aus Freundschaft für Demosthenes und aus Anhänglich­ keit an die Athener, mit denen sie im Bunde waren, ihnen angeschlossen. Alle diese von diesseits des Ionischen Meeres. Von den griechischen Städten in Italien nahmen Thurioi und Metapontion am Kriege teil, weil sie sich in ihren damaligen Parteikämpfen dazu gezwungen sahen, in Sizilien Naxos und Katana, von Nichtgriechen Egesta, das die Athener zu Hilfe gerufen hatte, und die meisten Sikeler, von außerhalb Siziliens eine Anzahl Thyrfener wegen ihrer Streitigkeiten mit den Syrakusern und einige japygische Söldner. Dies die Völker, welche auf seiten der Athener fochten.

Zu den Syrakusern dagegen hielten ihre Nachbarstadt Kamarina, das daran grenzende Gela und das jenseits des neutralen Akragas gelegene Selinus, alle drei auf der Libyen gegenüber liegenden Küste Siziliens. An der auf das Thyrfe­ nische Meer gerichteten Seite der Insel war Himera die einzige griechische Stadt, und von dort hatte auch nur sie allein Hilfe gesandt. Das die griechischen Orte in Sizilien auf Seite der Syrakufer; sie alle dorisch und selbständige Städte. Von Nichtgriechen hielten es nur diejenigen Sikeler mit ihnen, welche sich nicht den Athenern angeschlossen. Von den Griechen außerhalb Siziliens hatten die Lakedämonier ihnen einen Spar­ tiaten als Feldherrn, außerdem auch Neodameden und Heloten geschickt. Neodameden bedeutet Leute, die schon freigelassen sind. Die Korinther, die einzigen, welche nicht nur mit Schiffen, sondern auch mit Landtruppen gekommen waren, sowie die Leukadier und Amprakier hielten als Stammesgenossen zu ihnen. Aus Arkadien hatten sie Söldner im Dienste der Korinther erhalten; auch die Sikyoner waren gezwungen, den Zug mit­ zumachen, von außerhalb des Peloponnes die Böotier ihnen zu Hilfe gekommen. Im Verhältnis zu diesen auswärtigen Streitkräften bildeten jedoch die sizilischen Griechen bei weitem die Mehrheit des ganzen Heeres; denn bei der Größe ihrer

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Städte hatten sie schweres Fußvolk, Schiffe, Pferde und Menschen in großer Menge. Im Verhältnis zu allen anderen stellten aber die Syrakuser selbst dann doch wieder das meiste, sowohl wegen der Größe ihrer Stadt, als auch weil sie in der größten Gefahr waren.i

Das die Streitkräfte, welche auf beiden Seiten zusammen­ gebracht und damals schon sämtlich zur Stelle waren; auch hat keiner von beiden später weitere Verstärkungen erhalten. Die Syrakuser und ihre Verbündeten glaubten also mit Recht, daß es ihnen zu hohem Ruhm gereichen würde, wenn es ihnen gelänge, nachdem sie die Seeschlacht gewonnen, nun auch diese ganze so gewaltige Kriegsmacht der Athener noch zu vernichten und sie weder zu Lande, noch mit der Flotte entkommen zu lassen. Sie suchten also gleich den großen Hafen, dessen Einfahrt ungefähr acht Stadien breit ist, zu sperren, indem sie dort Trieren, Lastschiffe und kleinere Fahrzeuge quer verankerten. Zugleich trafen sie für den Fall, daß die Athener nochmals eine Seeschlacht wagen würden, ihre Vorbereitungen, wie sie überhaupt hoch hinaus wollten.