History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Die Zufuhr von Lebensmitteln aus Euboia, welche früher von Oropos auf dem kürzeren Landwege über Dekeleia erfolgte, war jetzt auf den Seeweg um Sunion herum angewiesen und dadurch verteuert. Überhaupt litt man in der Stadt Mangel an allem, was von auswärts eingeführt werden mußte, und die Stadt war zum Heerlager geworden. Am Tage mußten die Athener abwechselnd an der Brustwehr, bei Nacht aber alle außer den Reitern entweder auf einem der Sammelplätze oder auf der Mauer Wache halten und sich Sommer und Winter plagen. Das drückendste aber war, daß sie gleichzeitig zwei Kriege führen mußten. Dabei entwickelten sie jedoch einen so rühm­ lichen Eifer, wie ihnen vorher niemand zugetraut hätte; denn wer hätte geglaubt, daß sie, obgleich selbst durch die ihnen von den Lakedämoniern vor die Tür gebaute Festung so hart bedrängt, trotzdem Sizilien nicht aufgeben und dort Syrakus, eine schon für sich allein so mächtige Stadt wie Athen, noch belagern würden. Solche Kraft und Kühnheit kam den Griechen völlig unerwartet, da man bei Beginn deS Krieges gemeint, daß sie wohl ein oder zwei oder auch drei Jahr, keinenfallS aber länger aushalten würden, wenn die Peloponnesier ihnen ins Land fielen. Und nun gingen sie, siebzehn Jahr nach dem ersten Einfall, als ihre Kräfte durch den Krieg bereits aufs äußerste in Anspruch genommen waren, nach Sizilien und unternahmen einen zweiten nicht minder weit aussehenden Krieg wie jenen ersten peloponneisschen. Infolgedessen aber begannen jetzt, wo ihnen Dekeleia so viel Schaden tat und auch anderweit große Anforderungen an sie herantraten, ihre Kassen leer zu werden. Auch legten sie um diese Zeit ihren Unter­ tanen anstatt der bisherigen Steuer den Zwanzigsten von allen zur See ein- und ausgehenden Gütern als Abgabe auf, in der Meinung, auf diese Weise höhere Einnahmen zu erzielen. Denn ihre Ausgaben waren gegen früher sehr gestiegen und um so größer geworden, je mehr der Krieg an Umfang zu­ genommen hatte und ihre Einnahmen zurückgegangen waren.

Sie schickten also die Thraker, welche für Demotshenes zu spät gekommen waren, um bei der augenblicklichen Knapp­

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heit ihrer Geldmittel Kosten zu sparen, sogleich wieder nach Hause. Auf dem Rückwege ließen sie sie durch Diitrephes geleiten, dem sie zugleich unter den Fuß gaben, sich ihrer auf der Fahrt, die durch den Euripos ging, womöglich zu einem Handstreich gegen die Feinde zu bedienen. Der ließ sie bei Tanagra landen, um dort im Fluge etwas zu plündern, und fuhr dann spät abends mit ihnen von Chalkis auf Euboia über den Euripos nach Böotien, wo er landete und sie gegen Mykalessos führte. Die Nacht über blieb er mit ihnen un­ bemerkt bei dem etwa sechzehn Stadien von Mykalessos ent­ fernten Hermestempel unter freiem Himmel, bei Tagesanbruch aber überfiel er die Stadt und nahm sie ein, ein unbedeutendes Städtchen, dessen Bewohner keines Überfalls gewärtig waren und nie daran gedacht hatten, daß man sie da oben von der See her einmal überfallen würde. Zudem waren die Mauern schwach, hie und da verfallen und stellenweise nur niedrig, auch die Tore, weit man an keine Gefahr glaubte, nicht ge­ schlossen. Nun drangen die Thraker in die Stadt, verwüsteten Häuser und Tempel und richteten unter den Einwohnern ein Blutbad an, wobei sie weder jung noch alt verschonten, sondern alles ohne Unterschied, Weiber und Kinder, mordeten, ja selbst die Ochsen vor den Wagen und was ihnen sonst Lebendiges vorkam, totschlugen. Denn die Thraker sind eins der rohsten Barbarenvölker, und in der Wut kennt ihr Blutdurst keine Grenzen. So kam es auch hier zu entsetzlichen Auftritten und grauenvollem Würgen in jeglicher Gestalt. Unter anderem drangen sie in eine Schule, die größte am Orte, als die Kinder eben gekommen waren, und hieben sie alle nieder. Und dies beispiellos furchtbare Geschick war über die Stadt mit allem, was darin war, völlig unerwartet hereingebrochen.

Als die Thebaner die Nachricht erhielten, kamen sie so­ gleich zur Hilfe herbei. Sie holten die Thraker, die schon eine Strecke Weges wieder abgezogen waren, noch ein, nahmen ihnen die Beute ab, trieben sie in die Flucht und verfolgten sie bis an die See, den Euripos, wo die Schiffe, auf denen sie gekommen waren, vor Anker lagen. Auch töteten sie viele

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von ihnen, besonders während sie sich einschiffen wollten, da sie nicht schwimmen konnten und die Leute an Bord beim Anblick der Vorgänge am Lande die Schiffe außer Schußweite brachten. Vorher hatten sich die Thraker auf dem Rückzüge gegen die zuerst auf sie eindringende Reiterei der Thebaner leidlich gewehrt, indem sie nach ihrer heimischen Fechtweise erst wegliefen und dann geschlossen wieder vorgingen, und dabei nur wenig Tote gehabt. Eine Anzahl, die sich zu lange beim Plündern aufgehalten hatte, wurde jedoch noch in der Stadt abgefangen und niedergemacht. Im ganzen waren von den dreizehnhundert Thrakern zweihundertfunfzig, von den Thebanern und ihren Verbündeten aber zusammen etwa zwanzig Reiter und Hopliten gefallen, darunter auch der Böotarch Skirphondas aus Theben. Von den Mykalessern war wenig übriggeblieben. So viel über Mykaleffos und das Schicksal, welches die Stadt im Verhältnis zu ihrer Größe so schwer und entsetzlich wie nur einS im Laufe des Krieges betroffen hatte.

Demotshenes, der damals nach Befestigung des Platzes an der lakonischen Küste auf der Fahrt nach Kerkyra war, traf bei Pheia in Elis ein dort ankerndes Lastschiff, auf dem die korinthischen Hopliten grade nach Sizilien übersetzen wollten, und vernichtete es. Die Leute konnten sich jedoch retten und benutzten später ein anderes Schiff zur Überfahrt. Hierauf kam Demotshenes nach Zakynthos und Kerkyra, wo er noch Truppen an Bord nahm und auch von den Meffeniern in Naupaktos kommen ließ. Darauf fuhr er nach Akarnanien anf dem Fest­ lande hinüber, nach Alyzia und Anaktorion, daS im Besitz der Athener war. Während seines Aufenthalts in jener Gegend traf Eurymedon mit ihm zusammen, der schon damals im Winter mit den Geldern für das Heer abgeschickt und jetzt auf dem Rückwege von Sizilien war. Der brachte Nachrichten von dort und teilte ihm auch mit, daß er, als er bereits wieder unterwegs gewesen, noch gehört habe, die Syrakuser hätten das Plemmyrion genommen. Auch Konon, der in Naupaktos befehligte, fand sich bei ihnen ein und meldete, daß die fünf­

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undzwanzig korinthischen Schiffe ihnen immer noch gegenüber lägen und nicht daran dächten, die Feindseligkeiten einzustellen, sondern es auf eine Schlacht abgesehen hätten. Er bat sie deshalb, ihnen Schiffe zu schicken, da sie mit ihren achtzehn Schiffen nicht imstande seien, jenen fünfundzwanzig die Spitze zu bieten. Demosthenes und Eurymedon gaben ihm auch zur Verstärkung des Geschwaders bei Naupaktos zehn ihrer schnellsten Schiffe mit. Sie selbst aber machten sich auf, um noch Truppen zusammenzubringen. Eurymedon fuhr nach Kerkyra, ließ dort fünfzehn Schiffe bemannen und schweres Fuß­ volk ausheben. Denn jetzt nach der Rückkehr trat auch er hier neben Demotshenes als Oberfeldherr auf, wozu er ja mit ihm gewählt worden war. Demosthenes aber blieb in Akarnanien, um dort im Lande Speerschützen und Schleuderer aufzubieten.

Als die damals nach der Einnahme des Plemmyrions an die anderen Städte geschickten Gesandten der Syrakuser ihren Zweck bei ihnen erreicht und Truppen zusammengebracht hatten, wollten sie sich damit nach Syrakus aufmachen. Nikias aber, der davon vorher gehört hatte, schickte an die Sikeler, nach Kentoripa, Alikyai und andere mit Athen verbündete Orte, durch deren Gebiet sie ziehen mußten, und forderte sie auf, die Feinde nicht durchzulassen, sondern ihnen mit vereinten Kräften den Weg zu verlegen. Einen anderen hätten sie nämlich nicht nehmen können, da Akragas den Durchzug durch sein Gebiet nicht gestattete. Als die Sikelioten schon auf dem Marsche waren, legten ihnen die Sikeler denn auch nach dem Wunsche der Athener einen Hinterhalt, überfielen sie plötzlich unver­ sehens und erschlugen gegen achthundert, auch die Gesandten alle bis auf einen, den Korinther, der dann mit den fünf­ zehnhundert glücklich Entkommenen nach Syrakus gelangte.

In diesen Tagen kamen auch fünfhundert Hopliten, drei­ hundert Speerschützett und dreihundert Bogenschützen, welche die Kamariner den Syrakusern zu Hilfe geschickt, bei ihnen an. Auch Gela schickte fünf Schiffe mit vierhundert Speerschützen und zweihundert Reitern. Denn bis auf Akragas, das neutral

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blieb, machten jetzt fast alle sizilischen Griechen, auch wenn sie vorher eine abwartende Haltung eingenommen, mit Syrakus gegen die Athener gemeinshcaftliche Sache. Die Syrakuser aber stellten infolge der Niederlage im Gebiet der Sikeler die Angriffe auf die Athener vorläufig ein. Demotshenes und Eurymedon, deren Heer inzwischen durch die Truppen aus Kerkyra und vom Festlande verstärkt worden war, fuhren nun mit der ganzen Flotte durch das Ionische Meer nach dem Japygischen Vor­ gebirge hinüber und von da weiter nach den zu Japygien gehörenden Choiradischen Inseln, wo sie anlegten und etwa hundertfunfzig japygische Speerschützen vom Stamme der Messapier an Bord nahmen und mit Artas, einem dortigen Fürsten, der ihnen auch die Leute gestellt hatte, ein altes » Bündnis erneuerten. Darauf kamen sie nach Metapontion in Italien und bewogen die Einwohner, ihnen den bestehenden Verträgen gemäß dreihundert Speerschützen und zwei Trieren mitzugeben, mit denen sie dann an der Küste entlang die Fahrt nach Thurien fortsetzten. Hier trafen sie ein, als die Gegner der Athener kurz vorher bei einem Aufstande aus der Stadt vertrieben waren, und beschlossen deshalb, dort auf etwaige Nachzügler zu warten und ihre ganze Flotte zu vereinigen, auch die Thurier zu bereden, sich am Kriege mit vollem Eifer zu beteiligen und jetzt, wo sie dazu in der glücklichen Lage seien, ein Schutz- und Trutzbündnis mit Athen einzugehen. Zu dem Ende blieben sie also einstweilen in Thurien.

Um dieselbe Zeit richteten sich die Peloponnesier auf den fünfundzwanzig Schiffen, welche zum Schutz der nach Sizilien abgehenden Lastschiffe der athenischen Flotte bei Naupaktos gegenüber lagen, auf eine Seeschlacht ein, bemannten noch einige Schiffe, so daß sie nicht viel weniger als die Athener hatten, und gingen bei Erineos in Achaia im Gebiet der Stadt Rhypes vor Anker. Da ihr Ankerplatz sichelförmig war, hatte das zu ihrer Unterstützung gekommene Landheer der Korinther und der dortigen Bundesgenossen neben ihnen zu beiden Seiten eine Stellung auf den vorspringenden Land­ spitzen eingenommen, zwischen denen die Schiffe eine geschlossene

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Linie bildeten. Den Befehl über die Flotte führte der Korinther Polyanthes. Nun gingen die Athener aus Naupaktos mit dreiunddreißig Schiffen unter Diphilos gegen sie vor. Anfangs rührten sich die Korinther nicht, dann aber, als es ihnen an der Zeit schien, setzten sie sich auf ein gegebenes Zeichen gegen die Athener in Fahrt, und die Schlacht begann. Längere Zeit hielten beide einander die Wage. Den Korinthern wurden drei Schiffe vernichtet, den Athenern zwar keins zum Sinken gebracht, aber sieben außer Gefecht gesetzt, indem sie beim Zusammenstoß vorn vor den Ruderbänken von den korinthischen Schiffen gerammt wurden, die zu dem Ende mit tsärkeren Sturmbalken versehen waren. Die Schlacht aber blieb un­ entschieden, so daß beide Teile sich den Sieg zuschrieben. Doch bargen die Athener die Schiffstrümmer, da sie durch den Wind » in die offene See getrieben wurden und die Korinther den Angriff nicht erneuerten. Damit war die Sache zu Ende, es gab keine Verfolgung, und keiner von beiden hatte Gefangene gemacht. Denn die Korinther und Peloponnesier, welche nahe am Lande gefochten, konnten sich leicht retten, und den Athenern war kein einziges Schiff versenkt worden. Als die Athener wieder nach Naupaktos abgefahren waren, errichteten die Korinther sogleich ein Siegeszeichen, indem sie sich den Sieg zuschrieben, weil sie mehr feindliche Schiffe kampfunfähig ge­ macht hatten und sich auch deshalb als Sieger ansahen, weil die anderen das nicht taten. Denn die Korinther glaubten schon gesiegt zu haben, wenn sie nicht gründlich geschlagen waren, die Athener aber sahen die Schlacht nicht als gewonnen an, weil sie die Gegner nicht gründlich besiegt hatten. Nach­ dem die Flotte der Peloponnesier abgefahren und ihr Land­ heer auseinandergegangen war, errichteten die Athener, weil sie die Schlacht gewonnen, auch ihrerseits in Achaia ein Siegeszeichen, etwa zwanzig Stadien von Erineos, wo die Korinther vor Anker gelegen hatten. So verlief die See­ schlacht.

Demosthenes und Eurymedon aber ließen, als die Thurier ihnen siebenhundert Hopliten und dreihundert Speerschützen

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gestellt, die Schiffe längs der Küste ins Krotonische fahren, während sie selbst, nachdem sie erst noch am Sybaris Heer­ schau gehalten, mit dem ganzen Landheere durch das Gebiet von Thurioi weiterzogen. Als sie am Hylias angekommen waren, wurde ihnen durch eine Gesandtschaft aus Kroton angekündigt, daß man ihnen den Durchzug mit dem Heere nicht gestatten werde. Sie zogen deshalb an die See hinunter und lagerten dort im Freien an der Mündung des Hylias, wo ihre Schiffe ebenfalls eintrafen. Am folgenden Tage schifften sie das Heer ein und setzten die Fahrt an der Küste fort, auf der sie, mit Ausnahme von Lokroi, die Städte dort anliefen, bis sie nach Petra im Gebiet von Rhegion gelangten.

Inzwischen hatten die Syrakuser die Nachricht erhalten, - daß sie mit ihren Schiffen im Anzüge seien, und wollten nun, bevor sie einträfen, mit der Flotte und ihren Streitkräften zu Lande, die sie zu dem Zwecke zusammenzogen, nochmals einen Schlag führen. Auf der Flotte trafen sie vershciedene Ein­ richtungen, von deren Zweckmäßigkeit sie sich in der vorigen Schlacht überzeugt hatten; insbesondere verkürzten sie die Schnäbel der Schiffe, um sie widerstandsfähiger zu machen, versahen die Vorderteile mit dicken Sturmbalken und unter­ stützten diese durch starke, teils außen, teils inwendig an den Schiffswänden verstrebte, sechs Ellen lange Widerlagen, eine Verbesserung, wie sie auch die Korinther in der Schlacht bei Naupaktos an den Schnäbeln ihrer Schiffe vorgenommen hatten. Denn da die Schiffe der Athener anders gebaut waren und schwächere Schnäbel hatten, weil sie das feindliche Schiff nicht vorn, sondern durch eine geschickte Wendung von hinten zu treffen suchten, so glaubten die Syrakuser es auf diese Weise mit ihnen aufnehmen und ihnen im großen Hafen, wo die Schiffe in einem engen Raume kämpfen mußten, unter günstigen Bedingungen eine Schlacht liefern zu können. Bei ihrem gegen das Vorderteil des feindlichen Schiffes gerichteten Stoß würde nämlich der wuchtige, feste Schnabel dessen schwache und bauchige Teile treffen und ihm den Bug aufreißen, den Athenern aber in dem engen Raume weder möglich sein, ihre Schiffe von

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hinten zu treffen, noch ihnen durch die Ruder zu fahren; denn dieses, ihr Lieblingsmanöver, würden sie ihrerseits nach Kräften zu verhindern wissen, jenes aber, das Umfahren, werde die Enge des Raumes von selbst verbieten. Und was man früher als eine Ungeschicklichkeit ihrer Steuerleute angesehen, daß sie auf das Vorderteil des feindlichen Schiffes gehalten, grade das wollten sie sich jetzt selbst zunutze machen, weil sie dabei im Vorteil wären. Den Athenern würde nämlich, wenn sie den Stoß erhalten, nichts übrigbleiben, als sich auf den nahen Strand nach ihrem Lagerplatze zurückzuziehen, während ihnen der ganze übrige Hafen zu Gebote stände, und wenn sie zurück müßten und dann mit allen Schiffen auf einen einzigen engen Fleck angewiesen wären, so würden ihre Schiffe sich stoßen und in Verwirrung geraten; wie es denn auch wirklich für die Athener in alle den damaligen Seegefechten besonders nach­ teilig geworden ist, daß sie nicht wie die Syrakuser durch den ganzen Hafen zurückrudern konnten. Auch würden die Athener, da sie, die Syrakuser, es in der Hand hätten, sie nach Belieben von der See her anzugreifen oder sich^zurükczuziehen, nicht um die Landspitze herum in die offene See gelangen können, zumal das Plemmyrion in Feindes Hand und die Mündung des Hafens nur schmal sei.

Nachdem die Syrakuser sich diesen Plan nach bestem Wissen und Vermögen ausgedacht hatten, auch ihr Selbstvertrauen seit der vorigen Seeschlacht gewachsen war, entschlossen sie sich, nunmehr zugleich mit der Flotte und dem Landheere zum An­ griff zu schreiten. Mit den Truppen aus der Stadt rückte Gylippos schon etwas früher aus und führte sie an die athe­ nische Mauer, soweit diese auf die Stadt gerichtet war. Von der anderen Seite rückten die Hopliten, Reiter und leichten Völker der Syrakuser vom Olympieiou her gegen die Mauer vor, und bald nachher kamen auch die Schiffe der Syrakuser zum Vorschein. Anfangs glaubten die Athener, es sei nur auf einen Angriff mit dem Landheere abgesehen. Als sie dann plötzlich auch die Schiffe kommen sahen, wurden sie ershcrocken und stellten sich zum Teil auf und an der Mauer dem dort

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andringenden Feinde gegenüber in Schlachtordnung, während andere gegen die draußen vom Olympieion eilig herankommenden zahlreichen Reiter und Speerschützen vorrückten. Wieder andere eilten an den Strand, um sich auf die Schiffe zu begeben, und fuhren, sobald die Mannschaft eingeschifft war, mit fünf­ undsiebzig Schiffen dem Feinde entgegen. Die Syrakuser aber hatten etwa achtzig.

Nachdem beide den Tag über lange vor- und rückwärts gerudert und ihre Kräfte gemessen hatten, ohne einen nennens­ werten Erfolg zu erzielen, nur daß die Syrakuser den Athenern ein paar Schiffe versenkt hatten, stellten sie den Kampf ein. Gleichzeitig zog sich auch ihr Landheer von der Mauer zurück. Am folgenden Tage ließen sich die Syrakuser nicht blicken, und man merkte nicht, was sie vorhatten. Da Nikias sah, daß die Schlacht unentshcieden geblieben war, und sich auf einen neuen Angriff gefaßt machte, wies er die Trierarchen an, ihre Schiffe, soweit sie beschädigt waren, wieder auszu­ bessern, und verankerte Lastschiffe vor dem Pfahlwerke der Athener, das er in Ermangelung eines umshclossenen Hafens zum Schutze der Schiffe in der See angelegt hatte. Die Lastschiffe wurden in Abständen von zwei Plethren verlegt^ damit die etwa gefährdeten Kriegsschiffe sich in Sicherheit zurückziehen und ungehindert wieder auskaufen könnten. Mit diesen Zurüstungen waren die Athener bis in die Nacht be­ schäftigt.

Am Tage darauf eröffneten die Syrakuser den Kampf gegen die Athener in derselben Weise, jedoch schon zu früherer Stunde, mit dem Heere und der Flotte von neuem. Und wiederum hielten sie einander wie das erstemal einen großen Teil des Tages das Widerspiel, bis Ariston, Pyrrichos' Sohn, der beste Steuermann auf seiten der Syrakuser, den Befehls­ habern auf ihrer Flotte riet, den Marktvögten in der Stadt sagen zu lassen, sie sollten den Hokenmarkt auf den Strand ver­ legen und die Verkäufer zwingen, alles, was sie an Eßwaren hätten, dort feilzubieten, damit ihre Seeleute schnell ans Land gehen und in unmittelbarer Nähe der Schiffe was essen und

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dann die Athener noch an demselben Tage unversehens wieder angreifen könnten.

Auf seinen Rat schickten die auch einen Boten in die Stadt, und der Markt wurde dort aufgeschlagen. Nun zogen sich die Syrakuser, Ruder rückwärts, an die Stadt zurück, gingen geschwind ans Land und verzehrten dort ihre Mahlzeit. Die Athener aber glaubten, sie hätten sich nach der Stadt zurück- gezogen, weil sie die Schlacht verloren gäben, gingen ruhig ans Land an ihre Geschäfte oder zum Essen und meinten, daß es an dem Tage wohl nicht mehr zur Schlacht kommen würde. Plötzlich aber waren die Syrakuser wieder an Bord und ruderten auf sie zu. Nun eilten auch sie in wilder Hast, meist noch mit leerem Magen, aufs Geratewohl wieder auf die Schiffe, und nur mit Mühe gelang es, diese endlich gegen den Feind zu führen. Eine Zeitlang standen sich beide Aug' in Auge untätig gegenüber. Dann aber entschlossen sich die Athener, um nicht bei längerem Warten zu ermüden und sich durch eigene Schuld eine Niederlage zuzuziehen, unverzüglich anzugreifen, warfen sich, einander durch Zuruf anfeuernd, auf den Feind und begannen das Gefecht. Die Syrakuser nahmen den Kampf auf, wobei sie ihrem Plane gemäß mit ihren Schiffen auf das Vorderteil der feindlichen Schiffe hielten und mittels der dort angebrachten Sturmbalken vielen von ihnen den Bug aufrissen, während die Speerschützen auf dem Verdeck - den Athenern großen Schaden taten. Noch gefährlicher aber wurden diesen die syrakusischen Schützen, welche sie in den Booten umshcwärmten, sich in das Ruderwerk der feindlichen Schiffe drängten oder ihnen an die Seite kamen und vom Boote aus ihre Matrosen beschossen.

Auf diese Weise erfochten die Syrakuser schließlich nach heißer Schlacht den Sieg, und die geschlagenen Athener mußten sich zwischen den Lastschiffen hindurch auf ihren Ankerplatz zurückziehen. Die Schiffe der Syrakuser verfolgten sie bis an die Lastschiffe; hier aber wurden sie durch die mit Delphinen beschwerten Stangen, welche von den Lastschiffen aus die Ein­ fahrten überragten, an der weiteren Verfolgung gehindert.

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Zwei syrakusische Schiffe aber, die sich im Hochgefühl des Sieges zu nahe herangewagt, wurden zertrümmert, und eins davon fiel mit der ganzen Mannschaft den Athenern in die Hände. Die Syrakuser, welche den Athenern sieben Schiffe versenkt, viele leckgemacht und die Mannschaft entweder ge­ fangengenommen oder getötet hatten, zogen sich zurück und er­ richteten Siegeszeichen für beide Seeschlachten, bereits voller Zuversicht, der feindlichen Flotte weit überlegen zu sein, und überzeugt, auch mit dem Landheere schon fertigzuwerden. Sie richteten sich also darauf ein, beide von neuem anzugreifen.

Eben jetzt kamen Demosthenes und Eurymedon mit den Verstärkungen von Athen an, mit Einschluß der fremden etwa dreiundsiebzig Schiffen, gegen fünftausend Hopliten, teils Athenern, teils Bundesgenossen, und zahlreichen griechischen und barbarischen Schleuderern, Speer- und Bogenschützen, auch mit allem, was ein Heer im Felde bedarf, reichlich versehen. Die Syrakuser und ihre Verbündeten erschraken zuerst nicht wenig, daß der Krieg noch immer kein Ende nehmen wollte, da sie sahen, wie die Athener trotz der Befestigung von Dekeleia imstande waren, nochmal ein annähernd so starkes Heer wie das erste ins Feld zu stellen und nach allen Seiten mit solcher Macht aufzutreten. Das erste Heer der Athener aber bekam, soweit dies nach der erlittenen Niederlage möglich war, wieder Mut. Als Demosthenes sah, wie die Sachen tsanden, glaubte er, keine Zeit verlieren zu dürfen, wenn es ihm nicht so gehen sollte wie Nikias. Denn den hatte man bei seiner Ankunft gefürchtet; weil er aber Syrakus nicht gleich angriff, sondern in Katana überwinterte, kümmerte man sich nicht mehr um ihn, und Gylippos kam aus dein Peloponnes noch rechtzeitig mit seinem Heere an, das man gar nicht mehr hätte zu Hilfe rufen können, wenn Nikias sogleich angegriffen hätte. Denn anfangs hielten sich die Syrakuser allein für stark genug; wäre es aber gleich zur Einschließung der Stadt gekommen, so würden sie sich alsbald vom Gegenteil überzeugt haben, und eS hätte ihnen nichts mehr genützt, noch Hilfe von drüben zu erbitten. Hier­ von durchdrungen und überzeugt, daß auch er jetzt gleich im

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ersten Augenblick den Feinden am furchtbarsten vorkommen werde, wollte Demotshenes sich den ersten Schreck zunutze machen, den ihnen sein Heer einflößte. Und da er sah, daß jene neue Mauer, durch welche die Syrakuser die Athener verhindert hatten, die Stadt völlig einzuschließen, nur eine einfache war, und sobald man sich der Zugänge von Epipolai und dann auch des Lagers dort wieder bemächtigt, leicht genommen werden konnte, weil der Feind ihnen schwerlich standhalten würde, so beschloß er es damit sofort zu versuchen. Auf diese Weise dachte er dem Kriege auf kürzestem Wege ein Ende zu machen und entweder, wenn die Sache gut ging, Syrakus zu nehmen, widrigenfalls aber mit dem Heere abzuziehen, um die Athener, die den Feldzug mitmachten, und die ganze Stadt davor zu bewahren, ihre Kräfte unnütz aufzureiben. Zunächst verheerten die Athener auf einem Streifzuge das Gebiet der Syrakuser am Anapos, und ihre Streitkräfte waren wie anfangs zu Lande und zur See den Gegnern überlegen. Denn die Syrakuser kamen weder mit dem Heere noch mit der Flotte heraus, höchstens daß sie sich zuweilen mit der Reiterei und den Speer­ schützen vom Olympieion vorwagten.

Darauf beschloß Demosthenes, die neue Mauer mit seinem Sturmzeug zuerst anzugreifen. Als ihm aber die Gegner, welche die Mauer verteidigten, dieses in Brand steckten, und die Angriffe seiner Leute auch sonst überall abgeschlagen wurden, . beschloß er, sich damit nicht länger aufzuhalten, sondern nun­ mehr, nachdem er sich darüber mit Nikias und den übrigen Befehlshabern verständigt, den geplanten Angriff auf Epipolai zu unternehmen. Da er es für ausgeschlossen hielt, bei Tage unbemerkt heranzukommen und auf die Höhe zu gelangen, be­ fahl er den Truppen, sich für fünf Tage mit Lebensmitteln zu versehen, ließ alle Maurer und Zimmerleute antreten, auch Ge­ schütz und alles mitnehmen, was nötig war, um sich, wenn die Sache gut ging, dort zu befestigen, und setzte sich dann mit Eurymedon und Menandros um die Zeit des ersten Schlafs mit allen Truppen in Marsch, während Nikias in den Festungs­ werken zurückblieb. Als sie in der Nähe des Euryelos die

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Höhe erreicht hatten, wo auch das vorige Heer zuerst hinauf- gekommen war, rückten sie, ohne von den syrakusischen Wachen bemerkt zu werden, gegen das dort vorhandene Werk der Syra­ kuser vor, eroberten es und hieben eine Anzahl Leute darin nieder. Die meisten flüchteten jedoch gleich nach den Lagern, deren es drei auf Epipolai gab, eins für die Syrakuser, eins für die anderen sizilischen Griechen und eins für die Bundes­ genossen, und meldeten dort den Überfall, setzten auch die syra­ kusischen Sechshundert, welche auf dieser Seite von Epipolai auf Vorposten standen, davon in Kenntnis. Diese kamen auch sogleich herbei, Demotshenes und die Athener aber gingen ihnen zuleibe und schlugen sie nach tapferem Widerstande in die Flucht. Auch drang Demosthenes mit den Seinen dann sogleich weiter vor, um den ersten Feuereifer, womit sie drauf­ gingen, nicht erkalten zu lassen. Inzwischen eroberten andere auch die neue Mauer, gegen die der erste Angriff gerichtet gewesen war, deren Besatzung diesmal nicht standhielt, und rissen die Brustwehren nieder. Nun nahmen die Syrakuser mit ihren Bundesgenossen und Gylippos mit seinen Leuten von den Außenwerken her den Kampf gegen die Athener auf, wurden aber, da ihnen der Schreck von dem unerwarteten nächtlichen Überfall noch in den Gliedern lag, von ihnen be­ siegt und anfangs zum Rückzüge gezwungen. Als aber die Athener, schon des Sieges gewiß, um auch das noch nicht zum Schlagen gekommene feindliche Heer sogleich über den Haufen zu werfen und ihm keine Zeit zu lassen, sich in einer ein­ tretenden Gefechtspause wieder zu sammeln, ohne die nötige Ordnung vordrangen, stellten sich ihnen zuerst die Böotier ent­ gegen, schlugen sie zurück und trieben sie in die Flucht.

Und nun gerieten die Athener in Verwirrung und bereits in eine sehr bedenkliche Lage. Ich habe mich vergeblich be­ müht, von der einen oder der anderen Seite Auskunft darüber zu erhalten, wie es dabei im einzelnen zugegangen. Denn selbst am Tage, wo man deutlicher sieht, weiß der einzelne, der eine Schlacht mitmacht, davon kaum mehr als er selbst erlebt. Wie hätte man sich also von dieser nächtlichen Schlacht,

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der einzigen eben, zu der es in diesem Kriege zwischen größeren Heeren kam, ein deutliches Bild machen können? Es war zwar Heller Mondschein, und man konnte einander sehen, wie man eben bei Mondlicht Gestatten sich gegenüber sieht, aber Freund und Feind nicht unterscheiden. Auf beiden Seiten ver­ liefen sich eine Menge Leute im Gedränge. Die Athener waren zum Teil schon besiegt, während andere im ersten Angriff noch siegreich vordrangen. Ein großer Teil ihres übrigen Heeres war entweder eben erst oben angekommen oder noch im Begriff, die Höhe zu ersteigen, und man wußte nicht, wohin man sich wenden sollte. Denn vorn war, seit der Rückzug begonnen, schon alles in Verwirrung, und bei dem Geschrei war es schwer, etwas zu untershceiden. Die siegreichen Syrakuser und ihre Verbündeten feuerten sich nämlich durch lautes Schreien an, da es bei Nacht unmöglich war, sich auf andere Weise ver­ nehmlich zu machen, und wußten sich dabei zugleich der An­ griffe der Athener zu erwehren. Die nachkommenden Athener aber suchten ihre Landsleute und hielten alles, was ihnen ent­ gegenkam, auch wenn es zu ihren zurückströmenden Freunden gehörte, für Feinde. Und bei dem ewigen Fragen nach der Losung, woran sie sich allein erkennen konnten, gab es nicht nur bei ihnen einen Höllenlärm, weil sie alle zugleich fragten, sondern sie wurde auch den Feinden bekannt. Sie aber wußten deren Losung nicht, da diese als Sieger geschlossen vorgingen und sich leichter erkennen konnten. Wenn sie also bei einem Zusammenstoß mit einem feindlichen Truppenteil die Oberhand hatten, kamen die Gegner davon, weil sie die Losung kannten; sie dagegen wurden niedergemacht, wenn sie keine Antwort gaben. Besonders gefährlich wurde ihnen der Paian. Denn da er auf beiden Seiten annähernd derselbe war, wußten sie nie, wie sie dran waren. Wenn die Argeier, die Kerkyräer oder andere Dorier im Heere der Athener ihn anstimmten, so setzten sie die Athener dadurch ebenso in Schrecken, wie wenn es die Feinde taten. Schließlich, nachdem die Verwirrung einmal eingerissen, stießen selbst Abteilungen ihres eigenen Heeres, Freund mit Freund, Bürger mit Bürger, zusammen
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und gerieten dadurch nicht nur in Schrecken, sondern auch ins Handgemenge, so daß sie nur mit Mühe wieder auseinander kamen. Da sie von Epipolai nur auf einem schmalen Pfade wieder Hinunterkommen konnten, stürzten sich viele, um den Verfolgern zu entgehen, selbst von den Abhängen und kamen dabei ums Leben. Die übrigen aber, welche glücklich in die Ebene hinuntergelangt waren, flüchteten sich ins Lager, so namentlich die mit der Artlichkeit schon besser bekannten alten Soldaten, während die erst neu angekommenen vielfach den rechten Weg verfehlten und sich in der Umgegend verliefen. Die aber wurden, als es Tag geworden, von der umherschwärmenden syrakusischen Reiterei niedergemacht.

Am folgenden Tage errichteten die Syrakuser zwei Sieges­ zeichen, eins auf Epipolai, wo der Weg hinaufkommt, das andere, wo die Böotier sich dem Feinde entgegengestellt hatten. Den Athenern wurden ihre Toten unter Waffenstillstand heraus­ gegeben. Von ihnen und ihren Verbündeten waren viele ge­ fallen, doch war die Zahl der erbeuteten Schilde noch größer als die der Toten; denn die, welche genötigt gewesen waren, von den Abhängen zu springen, hatten vorher ihre Schilde weggeworfen und waren nur zum Teil umgekommen, zum Teil aber am.Leben geblieben.

Hierauf schickten die Syrakuser, denen nach dem unver­ hofften Siege auch diesmal wieder der Mut geschwollen war, Sikanos mit fünfzehn Schiffen nach Akragas, wo damals zwei Parteien einander bekämpften, um die Stadt womöglich in ihre Gewalt zu bringen. Gylippos aber bereiste zu Lande die anderen sizilischen Städte zum zweitenmal, nur dort noch weitere Ver­ stärkungen aufzubieten, da er, nachdem die Sache auf Epipolai so gut abgelaufen, sich auch der Festungswerke der Athener zu bemächtigen hoffte.

Unterdessen überlegten die athenischen Feldherren, was nach der erlittenen Niederlage und bei der jetzt im Heere ein­ gerissenen Mutlosigkeit zu tun. Sie sahen, daß sie bei ihren Unternehmungen kein Glück hatten und ihre Leute einen längeren Aufenthalt in Sizilien verwünschten, einmal weil sie an Krank- [*]( II )

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heiten litten, da es die Jahreszeit war, wo der Mensch be­ sonders zu Krankheiten neigt, und ihr Lager sich an einer sumpfigen, ungesunden Stelle befand, außerdem aber auch weil sie die Lage als hoffnungslos ansahen. Deshalb war Demotshenes dafür, nicht länger zu bleiben, und wie es schon vorher seine Absicht gewesen war, falls der Angriff auf Epipolai mißglückte, mit dem Heere abzuziehen, so riet er auch jetzt dazu und die Zeit wahrzunehmen, solange die Schiffahrt noch offen und man wenigstens in der Lage sei, mit den neu an­ gekommenen Schiffen die See zu behaupten. Seiner Meinung nach sei es auch für die Stadt selbst ersprießlicher, die Feinde, welche in ihrem eigenen Lande Festungen anlegten, zu be­ kämpfen als die Sprakuser, die man doch schwerlich noch unter­ kriegen werde, und eine Torheit, für eine längere Belagerung noch unnütz Geld wegzuwerfen.