History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

So sah Demotshenes die Sache an. Auch Nikias ver­ kannte keineswegs, wie bedenklich die Lage der Athener war, wünschte aber nicht, daß von ihrer Schwäche die Rede wäre und ihre Absicht, aus Sizilien abzuziehen, durch einen öffent­ lich in größerem Kreise gefaßten Beschluß zur Kenntnis der Feinde gelangte; denn dann würden sie ihrerseits, wenn sie wirklich abziehen wollten, ihre Absicht schwerlich unbemerkt ausführen können. Außerdem hatte er, da ihm die Verhältnisse der Feinde besser bekannt waren als den anderen, immer noch einige Hoffnung, daß diese bei längerer Fortsetzung der Be­ lagerung in eine schlimmere Lage geraten könnten als die Athener selbst; denn sie würden, weil ihnen das Geld aus­ ginge, schließlich doch mürbe werden, zumal die Athener mit den Schiffen, die sie zur Stelle hatten, jetzt die See beherrshcten. Auch gab es in Syrakus selbst noch manche, welche die Stadt ihnen in die Hände spielen wollten, zu dem Ende mit ihm unterhandelten und ihn zum Bleiben aufforderten. Infolge­ dessen war er in der Tat noch zu keinem festen Entschlüsse gelangt und suchte die Sache hinzuhalten; öffentlich aber sprach er sich damals noch dahin aus, daß er mit dem Heere nicht abziehen werde; denn so viel wußte er, daß die Athener es

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nicht verzeihen würden, wenn man aus Sizilien abzöge, ohne daß sie es selbst beschlossen. Auch würden ja in Athen nicht Leute über sie zu Gericht sitzen, denen wie ihnen die Dinge aus eigener Anschauung und nicht erst durch abfällige Urteile dritter bekannt geworden; vielmehr werde man sich dort ein­ fach an die gehässige Darstellung irgendeines gewandten Redners hatten. Selbst von den Soldaten, die hier jetzt so laut über die schreckliche Lage klagten, würden viele, ja die meisten, wenn sie wieder nach Hause kämen, ganz anders sprechen und über Verrat der Feldherren schreien, die nur deshalb aus Sizilien abgezogen seien, weil sie bestochen gewesen. Er kenne die Athener zur Genüge, und ehe er sich von ihnen auf Grund einer nichtswürdigen Anklage zu Unrecht verurteilen lasse, wolle er lieber durch Feindes Hand fallen und es für seine Person nötigenfalls darauf ankommen lassen. Bei alledem ständen die Sachen bei den Syrakusern immer noch schlechter als bei ihnen. Sie hätten für ihr Söldnerheer und die festen Plätze außerhalb der Stadt viel Geld ausgegeben und schon ein Jahr lang eine große Flotte unterhalten, so daß sie jetzt bereits Mangel litten, der sich demnächst noch fühlbarer machen werde. Zweitausend Talente hätten sie schon ausgegeben und außerdem viel Schulden machen müssen, und wenn sie ihren Zuschnitt durch Kürzung des Soldes für die Truppen auch nur im geringsten einschränkten, so würden sie den Krieg nicht durchhalten können, da sie ihn vorzugsweise mit Geworbenen und nicht wie die Athener mit ausgehobener wehrpflichtiger Mannschaft führten. Also müßte man bleiben, um die Be­ lagerung fortzusetzen, und nicht vor Feinden, denen man an Mitteln überlegen sei, das Feld räumen.

In diesem Sinne sprach sich Nikias aus und blieb dabei, da ihm die Lage der Dinge in Syrakus genau bekannt war, daß es dort an Geld fehlte und eine athenische Partei gab, die mit ihm unterhandelte, um ihn zur Fortsetzung der Be­ lagerung zu bestimmen, und er außerdem, wenigstens in betreff der Flotte, immer noch von allzu großem Vertrauen beseelt war. Demotshenes dagegen war mit der Fortsetzung der Be­

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lagerung durchaus nicht einverstanden. Wenn man aber auch wirklich ohne einen Beschluß der Athener mit dem Heere nicht abziehen dürfe und den Krieg in Sizilien noch weiter fort­ setzen wolle, meinte er, so müßten sie, die Athener, sich zu dem Ende auf Thapsos oder auf Katana zurückziehen. Von dort auS würden sie mit dem Heere Streifzüge unternehmen und den Feinden durch Verheerung ihres Landes Abbruch tun, mit der Flotte aber statt in engen für sie vorteilhaften Sunden ihnen in offener See die Spitze bieten können, wo sie ihrer­ seits in der Lage wären, von ihrer Geschicklichkeit Gebrauch zu machen und mit ihren Schiffen anzugreifen oder rückwärts zu rudern, ohne daran durch die Enge des Fahrwassers ver­ hindert zu werden. Mit einem Worte, er halte es keineswegs für ratsam, noch länger hierzubleiben, sondern unverzüglich und zwar je eher je lieber aufzubrechen. Auch Eurymedon war seiner Meinung. Da jedoch Nikias widersprach, wurde man bedenklich und kam zu keinem Entschluß, vermutete aber auch, Nikias müßte doch wohl noch mehr wissen und wolle deshalb nicht nachgeben. Darüber ließen die Athener die Zeit verstreichen und blieben an Ort und Stelle.

Inzwischen waren Gylippos und Sikanos in Syrakus wieder eingetroffen. Sikanos freilich war es mit Akragas nicht geglückt; denn während er noch in Gela war, hatte sich die syrakusische Partei mit den Gegnern wieder vertragen. Gylippos aber brachte aus Sizilien zahlreiche Verstärkungen mit, insbesondere auch die im Frühjahr aus dem Peloponnes auf Lastschiffen abgeschickten Hopliten, welche von Libyen in Selinus angekommen waren. Diese waren nämlich nach Libyen vershclagen, und man hatte ihnen in Kyrene zwei Trieren und Lotsen mitgegeben. Nachdem sie unterwegs noch den von den Libyern belagerten Enesperiten Hilfe geleistet und die Libyer besiegt hatten, waren sie an der Küste weitergefahren nach ' Neapolis, einem karhtagischen Handelsplatze, von wo man auf dem kürzesten Wege in zwei Tagen und einer Nacht Sizilien erreichen kann, und von da nach Selinus herübergekommen. Gleich nach ihrer Ankunft machten die Syrakuser Anstalt, die

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Athener von neuem zu Wasser und zu Lande anzugreifen. Als die athenischen Feldherren sahen, daß sie neue Verstärkungen erhalten hatten, während ihre eigene Lage nicht besser, sondern - von Tag zu Tage schlechter wurde, namentlich aber die Krank­ heiten im Heere bedenklich zunahmen, bereuten sie, daß sie nicht eher abgefahren waren. Da auch Nikias sich dem jetzt nicht mehr widersetzte, sondern nur verlangte, daß es wenigstens nicht öffentlich beschlossen würde, erteilten sie so heimlich wie möglich der ganzen Flotte den Befehl, sich darauf einzurichten, auf ein gegebenes Zeichen aus dem Lager auszukaufen. Aber als alles bereit war und sie eben abfahren wollten, trat eine Mondfinsternis ein; denn es war grade Vollmond. Und nun verlangten die Athener in der Mehrheit von den Feldherren aus Gewissensbedenken, sie sollten die Abfahrt vershcieben, und auch Nikias, der überhaupt auf Prophezeiungen und der­ gleichen zu viel gab, erklärte, von Aufbruch könne jetzt keine Rede mehr sein, bevor man nach Weisung der Wahrsager dreimal neun Tage gewartet. Infolgedessen wurde die Abfahrt verschoben, und die Athener kamen nicht von der Stelle.

Die Syrakuser, die das recht gut gemerkt hatten, paßten nun um so eifriger auf, daß die Athener ihnen nicht ent­ wischten, die ja jetzt selbst eingesehen, daß sie ihnen weder zur See noch zu Lande mehr überlegen wären, da sie sich sonst schwerlich zur Abfahrt entschlossen haben würden. Auch wollten sie sie sich nicht anderswo in Sizilien festsetzen lassen, wo sie schwerer zu bekämpfen wären, sondern sie zwingen, gleich hier, wo sie ihrerseits im Vorteil, die Schlacht mit ihrer Flotte aufzunehmen. Sie bemannten also ihre Schiffe und übten sie einige Tage ein, bis sie meinten, daß es damit genug sei. Als es so weit war, unternahmen sie am ersten Tage einen Angriff auf die Festungswerke der Athener, und als einige kleinere Abteilungen ihrer Hopliten und Reiter aus vershciedenen Toren gegen sie vorrückten, wurden diese von ihnen geschlagen und verfolgt, auch einige Hopliten abgeschnitten. Die Athener aber verloren, da der Eingang eng war, siebzig Pferde und eine Anzahl Hopliten.

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An dem Tage zogen die Syrakuser ihr Heer zurück, am folgenden aber gingen sie mit der Flotte, sechsundsiebzig Segel stark, und gleichzeitig mit dem Landheere auch gegen die Werke der Athener vor. Die Athener stellten sich ihnen mit sechs­ undachtzig Schiffen entgegen, und es kam zur Schlacht. Eury­ medon, der den rechten Flügel der Athener befehligte und, um die feindlichen Schiffe zu umfassen, seine Schlachtlinie nach dem Lande zu verlängerte, wurde nun selbst von den Syrakusern und ihren Verbündeten, welche zuerst die Mitte der Athener besiegt, in einem Winkel des Hafens eingeschlossen, dabei kam er selbst ums Leben, und die Schiffe, die er bei sich hatte, wurden vernichtet. Dann aber trieben die Syrakuser auch die ganze Flotte der Athener vor sich her und jagten die Schiffe ans Land.

Als Gylippos sah, daß die Schiffe der Feinde besiegt und bis an das Pfahlwerk und ihren Lagerplatz zurückgeschlagen waren, rückte er mit einem Teile seines Heeres auf den Deich, um die Mannschaft bei der Landung niederzumachen und den Syrakusern, wenn der Strand in Freundes Hand wäre, die Wegnahme der Schiffe zu erleichtern. Die Thyrseuer aber, welche hier die Stellung der Athener deckten und die Feinde ohne Ordnung herankommen sahen, gingen gegen sie vor, warfen sich auf den Vortrab, schlugen sie in die Flucht und trieben sie in den Lysimeleiischen Sumpf. Als dann aber immer mehr Truppen der Syrakuser und ihrer Verbündeten eintrafen, nahmen auch die Athener, weil sie für ihre Schiffe bange wurden, den Kampf gegen sie auf, schlugen sie in die Flucht und töteten ihnen auf der Verfolgung einige Hopliten. Auch retteten sie ihre meisten Schiffe und bargen sie im Lager. Achtzehn aber hatten die Syrakuser und ihre Verbündeten ge­ nommen und die ganze Mannschaft getötet. Um auch die übrigen in Brand zu stecken, füllten sie ein altes Lastschiff mit Reisig und Kien, warfen Feuer hinein und ließen es mit dem Winde, der auf die Athener stand, auf sie zutreiben. In der Besorgnis um ihre Schiffe sannen die Athener auf Gegen- mittel, um das Feuer unschädlich zu machen, nnd es gelang

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ihnen, die Flamme zu ersticken und die Annäherung des Schiffes zu verhindern und dadurch die Gefahr abzuwenden.

Hierauf errichteten die Syrakuser ein Siegeszeichen, weil sie die Seeschlacht gewonnen, auch oben bei den Festungs­ werken die Hopliten abgeschnitten und dabei die Pferde erbeutet, die Athener aber, weil die Thyrsener das feindliche Fußvolk in den Sumpf getrieben und sie selbst dann auch das übrige Heer geschlagen hatten.

Nach diesem glänzenden Siege, den die Syrakuser, die sich anfangs vor der mit Demotshenes angekommenen neuen Flotte gefürchtet, nun auch zur See erfochten hatten, wurden die Athener völlig mutlos. So groß der Schmerz über den unerwarteten Verlauf des Krieges war, weit größer noch die Reue, daß man ihn unternommen. Hier zum erstenmal hatten sie Städte angegriffen, welche wie sie demokratisch verfaßt und mit Schiffen, Pferden und sonstigen Mitteln überreichlich ver­ sehen waren, Städte, die sie nicht durch die Aussicht auf Ver­ fassungsänderungen auf ihre Seite ziehen konnten, und denen sie auch im Kriege nicht wesentlich überlegen oder auch nur gewahcsen gewesen waren. Hatten sie schon vorher das Be­ denkliche ihrer Lage empfunden, so war das jetzt, nachdem sie, was sie nimmer geglaubt, auch mit der Flotte geschlagen waren, noch weit mehr der Fall.

Die Syrakuser kreuzten auch gleich ganz dreist mit ihren Schiffen im Hafen und beabsichtigten, dessen Einfahrt zu sperren, damit die Athener nicht etwa heimlich mit ihrer Flotte ent­ kämen. Denn es war ihnen schon nicht mehr bloß um ihre eigene Sicherheit, sondern um Vernichtung der Athener zu tun, da sie, und mit Recht, annahmen, daß sie ihnen nach den jetzigen Erfolgen weit überlegen seien. Würde es ihnen doch auch in den Augen der Griechen zu hohem Ruhm gereichen, wenn es ihnen gelänge, die Athener und ihre Verbündeten zu Lande und zur See zu demütigen; denn dann würden die übrigen Griechen entweder gleich frei werden oder doch von den Athenern nichts mehr zu fürchten haben, da diese mit dem Reste ihrer Macht den Krieg nicht länger durchführen könnten,

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sie aber den Ruhm, ihnen dazu verhelfen zu haben, und die höchste Bewunderung der Mit- und Nachwelt davontragen. Und in der Tat war dies für sie ein Kampf von höchster Be­ deutung, schon darum, aber auch deshalb, weil es sich darin nicht allein um einen Sieg über die Athener, sondern auch über deren zahlreiche Bundesgenossen handelte, und sie ihn nicht allein, sondern mit ihren Verbündeten ausfochten, dabei neben Lakedämoniern und Korinthern die Führung hatten, ihre Stadt zuerst in die Schanze schlugen und ihre Seemacht ge­ waltig ausdehnten. Denn bei dieser einen Stadt traf eine Menge Völker aufeinander, wenn auch nicht alle, welche in diesem Kriege überhaupt zu den Bundesgenossen der Athener und der Lakedämonier gehörten.

Folgende Völker nämlich tsanden sich bei Syrakus auf beiden Seiten im Kampfe für und wider Sizilien gegenüber und hatten sich dort zusammengefunden, entweder um dem einen das Land erobern zu helfen, oder um es mit dem anderen zu verteidigen. Dabei hielten sie nicht etwa mit Rücksicht auf Recht oder Ver­ wandtschaft zusammen, sondern wie es sich grade traf und^ jeder sich dazu durch seinen Vorteil oder durch äußeren Zwang genötigt sah. Da waren zunächst die Athener selbst, welche als Jonier aus freien Stücken den Krieg gegen die dorischen Syrakus er unter­ nommen hatten, und mit ihnen die Lemnier, Jmbrer und die da­ maligen Bewohner von Agina und der athenischen Kolonie Hestiaia auf Euboia, die alle noch mit ihnen dieselbe Sprache redeten und gleiches Recht hatten. Andere beteiligten sich als Untertanen oder als selbständige Bundesgenossen an dem Zuge, einige auch als Söldner. Zu den untertänigen und steuerpflich­ tigen Orten gehörten Eretria, Chalkis? Styra und Karystos auf Euboia, von den Inseln Keos, Andros und Tenos, in Ionien Milet, Samos und Chios. Chios zahlte jedoch keine Steuer, sondern stellte Schiffe unter eigener Flagge zur Bundesflotte. In der Hauptsache waren das alles bis auf die dryopische Bevölkerung von Karystos Jonier athenischer Abkunft, welche, wenn auch als Untertanen und gezwungen, doch wenigstens als Jonier den Zug gegen jene Dorier mitmachten. Dazu

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kamen aber auch Äolier aus Methymna, die zwar Untertanen, aber nicht steuerpflichtig waren, sondern Schiffe stellten, und aus Tenedos und Ainos, welche Steuern zahlten. Diese Aolier kämpften, nur weil sie mußten, gegen die zu den Syrakusern haltenden Böotier, von denen sie abstammten. Dagegen fochten die Platäer grade als Böotier mit rechtschaffenem Haß gegen ihre böotischen Landsleute. Rhodos und Kythera, beide dorisch, Kythera sogar von den Lakedämoniern besiedelt, stellten den Athenern Truppen gegen die Lakedämonier unter Gylippos, und Rhodos, eine Gründung von Argos, war gezwungen, gegen das dorische Syrakus und seine eigene Kolonie Gela, die es mit Syrakus hielt, Krieg zu führen. Von den Inseln im Westen des Peloponnes hatten sich Kephalenia und Zakyn­ thos den Athenern angeschlossen, da sie, wenn sie auch selb­ ständig waren, bei deren Übermacht zur See nicht wohl anders konnten. Kerkyra, das nicht nur dorisch, sondern sogar Tochter­ stadt von Korinth war, machte den Krieg gegen die Korinther und Syrakuser, obwohl es von jenen gegründet und mit diesen eines Stammesswar, nichtsdetsoweniger eifrig mit, vorgeblich weil es mußte, in der Tat aber aus Haß gegen die Korinther. Die Messenier, wie sie immer noch hießen, aus Naupaktos und Pylos, das damals im Besitz der Athener war, hatten auch mitgemußt, und auch einige Flüchtlinge aus Megara waren durch das Schicksal, das sie betroffen, dazu getrieben, gegen ihre eigenen alten Landsleute aus Selinus zu fechten. Dazu nun noch alle die übrigen, welche den Zug freiwillig mitmachten. Die Argeier, die sich nicht sowohl des Bündnisses wegen, als aus Haß gegen die Lakedämonier und aus Rücksichten auf augenblickliche Vorteile einzelner, Dorier gegen Dorier, den ionischen Athenern angeschlossen hatten; die Mantineer und andere Arkadier, welche gewohnt waren, als Söldner gegen jeden ihnen bezeichneten Feind zu fechten, und nicht bezweifel­ ten, daß auch die Arkadier auf seiten der Korinther diesen ebenfalls nur des Geldes wegen Kriegsdienste leisteten. Ebenso hatten Kreter und Ätolier sich für Sold anwerben lassen. Und so kam es, daß die Kreter, welche mit Rhodiern Gela
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gegründet hatten, nicht für ihre eigene Kolonie, sondern als Söldner unbedenklich gegen sie kämpften. Auch aus Akarna­ nien hatten sich manche zwar auch für gutes Geld, die meisten aber doch aus Freundschaft für Demosthenes und aus Anhänglich­ keit an die Athener, mit denen sie im Bunde waren, ihnen angeschlossen. Alle diese von diesseits des Ionischen Meeres. Von den griechischen Städten in Italien nahmen Thurioi und Metapontion am Kriege teil, weil sie sich in ihren damaligen Parteikämpfen dazu gezwungen sahen, in Sizilien Naxos und Katana, von Nichtgriechen Egesta, das die Athener zu Hilfe gerufen hatte, und die meisten Sikeler, von außerhalb Siziliens eine Anzahl Thyrfener wegen ihrer Streitigkeiten mit den Syrakusern und einige japygische Söldner. Dies die Völker, welche auf seiten der Athener fochten.

Zu den Syrakusern dagegen hielten ihre Nachbarstadt Kamarina, das daran grenzende Gela und das jenseits des neutralen Akragas gelegene Selinus, alle drei auf der Libyen gegenüber liegenden Küste Siziliens. An der auf das Thyrfe­ nische Meer gerichteten Seite der Insel war Himera die einzige griechische Stadt, und von dort hatte auch nur sie allein Hilfe gesandt. Das die griechischen Orte in Sizilien auf Seite der Syrakufer; sie alle dorisch und selbständige Städte. Von Nichtgriechen hielten es nur diejenigen Sikeler mit ihnen, welche sich nicht den Athenern angeschlossen. Von den Griechen außerhalb Siziliens hatten die Lakedämonier ihnen einen Spar­ tiaten als Feldherrn, außerdem auch Neodameden und Heloten geschickt. Neodameden bedeutet Leute, die schon freigelassen sind. Die Korinther, die einzigen, welche nicht nur mit Schiffen, sondern auch mit Landtruppen gekommen waren, sowie die Leukadier und Amprakier hielten als Stammesgenossen zu ihnen. Aus Arkadien hatten sie Söldner im Dienste der Korinther erhalten; auch die Sikyoner waren gezwungen, den Zug mit­ zumachen, von außerhalb des Peloponnes die Böotier ihnen zu Hilfe gekommen. Im Verhältnis zu diesen auswärtigen Streitkräften bildeten jedoch die sizilischen Griechen bei weitem die Mehrheit des ganzen Heeres; denn bei der Größe ihrer

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Städte hatten sie schweres Fußvolk, Schiffe, Pferde und Menschen in großer Menge. Im Verhältnis zu allen anderen stellten aber die Syrakuser selbst dann doch wieder das meiste, sowohl wegen der Größe ihrer Stadt, als auch weil sie in der größten Gefahr waren.i

Das die Streitkräfte, welche auf beiden Seiten zusammen­ gebracht und damals schon sämtlich zur Stelle waren; auch hat keiner von beiden später weitere Verstärkungen erhalten. Die Syrakuser und ihre Verbündeten glaubten also mit Recht, daß es ihnen zu hohem Ruhm gereichen würde, wenn es ihnen gelänge, nachdem sie die Seeschlacht gewonnen, nun auch diese ganze so gewaltige Kriegsmacht der Athener noch zu vernichten und sie weder zu Lande, noch mit der Flotte entkommen zu lassen. Sie suchten also gleich den großen Hafen, dessen Einfahrt ungefähr acht Stadien breit ist, zu sperren, indem sie dort Trieren, Lastschiffe und kleinere Fahrzeuge quer verankerten. Zugleich trafen sie für den Fall, daß die Athener nochmals eine Seeschlacht wagen würden, ihre Vorbereitungen, wie sie überhaupt hoch hinaus wollten.

Als die Athener sahen, daß der Hafen gesperrt werden sollte, und merkten, worauf es dann weiter abgesehen war, hielten sie es für nötig, darüber zu Rate zu gehen, und die Feldherren und Hauptleute traten zu einem Kriegsrat zu­ sammen. Angesichts ihrer bedenklichen Lage, namentlich da sie jetzt keine Lebensmittel mehr hatten - denn als sie abfahren wollten, hatten sie in Katana die Zufuhr abbestellt - und auch künftig nicht haben konnten, beschlossen sie, die Werke weiter oben aufzugeben, in unmittelbarer Nähe der Schiffe aber einen Fleck, wie er zur Aufnahme des Gepäcks und der Kranken allenfalls genügte, zu befestigen nnd zu besetzen, das ganze übrige Heer aber bis auf den letzten Mann einzuschiffen und sämtliche Schiffe, gleichviel ob mehr oder weniger tauglich, damit zu bemannen und es auf eine Seeschlacht ankommen zu lassen. Dann aber wollten sie, falls sie isegten, nach Katana fahren, sonst aber die Schiffe verbrennen und mit dem Land­ heere in Schlachtordnung abziehen und möglichst bald einen

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befreundeten, sei es griechischen sei es nichtgriechischen Ort zu erreichen suchen. Und wie sie eS beschlossen, so machten sie eS auch. Aus den Werken weiter oben zogen sie in aller Stille ab und bemannten alle ihre Schiffe, indem sie jeden, der körperlich noch irgend brauchbar schien, zwangen, an Bord zu gehen. So wurden dann auch die sämtlichen etwa hundert­ undzehn Schiffe voll besetzt. Auch viele Speer- und Dogen­ schützen aus der Zahl ihrer akarnanishcen und anderen Söldner wurden miteingeschifft und alle sonst erforderlichen Vorkehrungen getroffen, soweit das bei einem so im Dränge der Not gefaßten Plane möglich war. Als alles bereit, ließ Nikias, welcher sah, wie seinen Leuten nach den mehrfachen ungewohnten Nieder­ lagen zur See der Mut gesunken war, und bei dem Mangel an Lebensmitteln je eher je lieber eine Schlacht zu liefern wünschte, sie alle zusammenkommen und suchte sie erst durch folgende Ansprache zu ermutigen.

„Kameraden, Landsleute und Bundesgenossen! Wir gehen in einen Kampf, in dem es für alle dasselbe gilt. Wir kämpfen, so gut wie unsere Feinde, für Leben und Vaterland. Wenn wir jetzt mit der Motte einen Sieg erringen, so haben wir alle die Aussicht, Heimat und Vaterland noch einmal wiederzusehen. Darum dürft ihr den Mut nicht sinken lassen und euch nicht gebärden wie unerfahrene Neulinge, die nach den ersten unglück­ lichen Gefechten gleich meinen, es werde ihnen auch künftig nicht besser gehen. Vielmehr müßt ihr alle hier, Athener so­ wohl, die ihr schon manchen Krieg mitgemacht, als auch Bundes­ genossen, die ihr an unseren Feldzügen stets teilgenommen habt, eingedenk sein, daß im Kriege immer Dinge vorkommen, auf die man nicht gerechnet hat, und in der Hoffnung, das Glück werde sich auch einmal wieder für uns erklären, von neuem in den Kampf gehen, um, wie es diesem großen Heere, das ihr hier jetzt beisammen seht, geziemt, die Scharte auszuwetzen.

„Alle Vorkehrungen, von denen wir uns überzeugt, daß sie uns in dem bei der Enge des Hafens unvermeidlichen Ge­ dränge der Schiffe und gegenüber den uns früher gefährlich ge­ wordenen Einrichtungen auf den Verdecken der Feinde von Nutzen

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sein würden, haben auch wir jetzt, soweit möglich, nach Beratung mit den Steuerleuten getroffen. Wir werden zahlreiche Speer- und Bogenschützen und sonstige Mannschaft in Menge an Bord nehmen. Wollten wir in offener See schlagen, so würden wir das allerdings nicht dürfen, weil die schwere Belastung der Schiffe ihrer Geschicklichkeit Abbruch tun könnte, hier aber, wo wir auf unseren Schiffen gewissermaßen eine Landschlacht zu liefern gezwungen sind, wird es uns zum Vorteil gereichen. Wir haben uns alles ausgedacht, was erforderlich war, um die Leistungsfähigkeit unserer Schiffe zu erhöhen, so gegen ihre uns besonders gefährlich gewordenen schweren Sturmbalken Griffe mit eisernen Händen, welche das feindliche Schiff hindern werden, nach dem Zusammenstoß rückwärts zu rudern, falls die Mannschaft auf dem Verdeck ihre Schuldigkeit tut. Denn so­ weit ist es ja jetzt mit uns gekommen, daß wir auf den Schiffen wie zu Lande fechten müssen, und deshalb ist es offenbar für uns vorteilhaft, weder selbst rückwärts zu rudern, noch es den Feinden zu gestatten, zumal der Strand bis auf einen kleinen, von unseren Truppen besetzten Fleck in Feindes Hand ist.

„Das müßt ihr euch merken und im Gefecht eure letzte Kraft einsetzen, euch nicht auf den Strand jagen lassen, sondern das Schiff nach dem Zusammenstoß festhalten, bis ihr die Mann­ schaft von dem feindlichen Verdeck über Bord geworfen habt. Und mehr noch als den Matrosen mache ich das den Soldaten zur Pflicht, da es sich dabei recht eigentlich um eine Aufgabe des Landheeres handelt, und deshalb können wir jetzt, wo bei ihm die Entscheidung liegt, auf den Sieg hoffen. Den Matrosen aber möchte ich raten und zugleich an sie die Bitte richten: Nehmt euch unsere Niederlagen nicht zu sehr zu Herzen. Die Einrichtungen auf den Verdecken sind jetzt besser, und die Zahl unserer Schiffe ist größer. Ihr galtet bisher, auch wenn ihr es nicht wart, für Athener. Weil euch unsere Sprache ge­ läufig war und ihr unsere Sitten angenommen, wart ihr in Griechenland überall hoch angesehen, habt auch die Vorteile unserer Herrschaft, den Respekt bei unseren Untertanen und die Sicherheit vor Beleidigungen mit uns in vollem Maße

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genossen; bedenkt also, daß es wohl der Mühe wert ist, euch solche Vorzüge zu erhalten. Es wäre deshalb sehr unrecht, wolltet ihr, die einzigen freiwilligen Gefährten unserer Herr­ schaft, uns jetzt im Kampfe um diese im Stich lassen. Ihr werdet doch die Korinther nicht fürchten, die ihr so oft besiegt, oder diese sizilischen Griechen, die, solange unsere Seemacht auf der Höhe stand, nie gewagt haben, euch die Spitze zu bieten. Geht ihnen also nur tapfer zu Leibe und zeigt ihnen, daß eure Geschicklichkeit auch nach Verlusten und Niederlagen immer noch jedem Gegner überlegen ist, auch wenn ihm das Glück einmal den Sieg in den Schoß geworfen.

„Euch Athener unter uns aber muß ich von neuem daran erinnern, daß ihr zu Hause weder Schiffe, wie diese hier, auf den Werften, noch junge Mannschaft hinter euch habt. Ihr müßt also unbedingt siegen, sonst werden sich unsere hiesigen Feinde sofort dahin aufmachen und unsere Landsleute dort außerstande sein, sich gegen ihre dortigen Gegner und die neuen Feinde zu behaupten. Ihr hier würdet den Syrakusern ohne weiteres zur Beute fallen - wißt ihr doch, was ihr selbst mit ihnen im Sinne gehabt habt -, und euere Mitbürger dort würden den Lakedämoniern unterliegen. Der Kampf, in den ihr geht, wird also zugleich über ihr und euer Schicksal entscheiden. Darum, wenn je, so steht heute euren Mann und beherzigt, einer für alle und alle für einen, daß ihr hier auf euren Schiffen die Land- und Seemacht der Athener seid, und daß die letzte Hoffnung und der große Name unserer Stadt auf euch beruht, auch daß sich jedem, der es anderen an Geschick­ lichkeit und Mut zuvortut, wohl niemals eine schönere Ge­ legenheit bieten wird, es zu seinem Besten und zum Heil des Ganzen zu bewähren."

Nachdem Nikias die Leute also ermutigt hatte, ließ er sie sogleich an Bord gehen. Gylippos und die Syrakuser, unter deren Augen das alles vorging, merkten natürlich, daß die Athener eine Seeschlacht liefern wollten. Auch hatten sie schon von der beabsichtigten Anwendung der eisernen Hände gehört und, wie überhaupt, so auch dagegen ihre Vorsichts­

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maßregeln getroffen. Sie überzogen nämlich den Bug und einen großen Teil des Verdecks ihrer Schiffe mit frischen Tier­ häuten, damit die darauf geworfene Hand abglitte und keinen Halt hätte.

Als man mit allem fertig war, ermutigten Gylippos und die übrigen Feldherren die ihrigen mit folgenden Worten:

„Daß wir bisher schon Ehre eingelegt haben und uns auch in dem bevorstehenden Kampfe mit neuem Ruhm bedecken werden, Syrakuser und Bundesgenossen, davon seid ihr wohl längst meist selbst überzeugt, sonst wärt ihr schwerlich so wacker draufgegangen, und wenn dies wirklich diesem oder jenem unter euch noch nicht genügend klar geworden sein sollte, so wollen wir ihn darüber aufklären. Diesen Athenern, die uns hier ins Land gekommen sind, um erst Sizilien, und wenn es ihnen damit geglückt, auch noch den Peloponnes und ganz Griechenland zu unterwerfen, und es zu einer Macht gebracht haben wie weder sonst noch jetzt ein anderer griechischer Staat, denen habt ihr zum erstenmal zur See, die sie völlig beherrschten, die Spitze geboten und sie schon in mehreren Schlachten be­ siegt, und sicherlich werdet ihr sie auch diesmal wieder besiegen. Denn wenn man auf einem Felde geschlagen ist, wo man sich anderen überlegen glaubte, ist es mit dem Gefühl der Über­ legenheit schlechter bestellt, als wenn man es vorher überhaupt nicht gehabt, und nach einer dem Stolze so unerwarteten Nieder­ lage traut man sich selbst das nicht mehr zu, wofür die vor­ handenen Kräfte noch ausreichen würden. Und so wird es jetzt wahrscheinlich auch den Athenern gehen.

„Unser altes Selbstvertrauen aber, das uns schon damals, als wir noch unerfahren waren, den Mut eingab, den Kampf zu wagen, ist gewachsen, seitdem wir die Stärksten besiegt und uns jetzt noch davon überzeugt haben, daß wir auch ihnen über­ legen sind, nnd wir rechnen deshalb alle mit doppelter Zu­ versicht auf den Sieg. Je größer aber die Zuversicht, um so größer auch die Freudigkeit zur Schlacht. An die Einrichtungen, die sie uns nachgemacht, sind wir bei unserer Kampfesweise schon gewöhnt, und sie werden uns mit alledem keine Über­

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raschungen bereiten. Da sie gegen ihre sonstige Gepflogenheit viele Hopliten auf dem Verdeck und viele Speerschützen, sozu­ sagen doch bloße Landratten, an Bord haben, Akarnanier und andere mehr, die es selbst im Sitzen nicht fertigbringen würden, mit dem Schuß richtig abzukommen, wie sollten die nicht ihren eigenen Schiffen hinderlich werden und bei der ungewohnten Bewegung alle untereinander in Verwirrung geraten? Auch die Menge ihrer Schiffe wird ihnen nichts helfen, wenn sich hier etwa jemand vor der Überzahl fürchten sollte. Denn in dem engen Raum werden ihre Schiffe die beabsichtigten Be­ wegungen vielfach nickt ausführen, wir aber durch die Einrich­ tungen auf unseren Schiffen ihnen um so leichter schaden können. Und nun noch eine Mitteilung, deren Richtigkeit nach den uns gewordenen Nachrichten nicht zu bezweifeln ist. Sie haben nämlich infolge ihrer schweren Niederlagen im Dränge der Not, nicht etwa im Vertrauen auf ihre Schlagfertigkeit, sondern um womöglich ihr Heil noch einmal zu versuchen, den ver­ zweifelten Entschluß gefaßt, sich entweder mit der Flotte durch­ zuschlagen, oder nahcher zu Lande abzuziehen, da sie dann wenigstens ihrer Meinung nach immer noch nicht schlimmer dran sein würden als jetzt.