History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Als Nikias das erfuhr und sah, wie die Macht der Feinde täglich größer, die Lage der Athener aber immer schwieriger wurde, sandte auch er nach Athen. Er hatte schon bisher häufig dahin berichtet und hielt das jetzt um so mehr für ge­ boten, weit er seine Lage für äußerst bedenklich ansah und sich für verloren hielt, wenn man das Heer nicht unverzüglich aus Sizilien zurückzöge oder ihm ansehnliche Verstärkungen schickte. Da er aber fürchtete, seine Abgesandten könnten, etwa weil sie nicht redegewandt genug wären, oder aus Vergeßlichkeit oder auch um den Leuten nach dem Munde zu reden, die Sache vielleicht nicht richtig darstellen, so verfaßte er einen schrift­ lichen Bericht in der Meinung, die Athener auf diese Weise am besten in den Stand zu setzen, seine wahre, durch den Boten nicht entstellte Auffassung kennen zu lernen und bei ihren Beratungen nicht von falschen Voraussetzungen auszugehen. Darauf machten sich seine Abgesandten mit dem Schreiben und den ihnen erteilten mündlichen Aufträgen auf den Weg.

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Er aber war jetzt schon mehr darauf bedacht, sich im Lager gegen feindliche Angriffe zu behaupten als selbst angriffsweise vorzugehen.

Gegen Ende dieses Sommers unternahm auch der athenische Feldherr Euetion mit Perdikkas und zahlreichen Thrakern einen Zug gegen AmphipoliS. Er konnte die Stadt zwar nicht nehmen, fuhr aber mit seinen Trieren auf dem Strymon um sie herum und schloß sie von der Stromseite ein, wobei er Himereion zu seinem Stützpunkte machte. Damit endete der Sommer.

Im folgenden Winter kamen Nikias' Abgesandte in Athen an, wobei sie ihre mündlichen Aufträge ausrichteten, weitere Fragen beantworteten und sein Schreiben übergaben. Nun trat der Staatsschreiber auf die Rednerbühne und las es den Athenern vor. Es lautete:

„Die bisherigen Ereignisse sind euch aus zahlreichen früheren Berichten bekannt, Athener. Augenblicklich aber ist es für eure weiteren Entschließungen vollends von Bedeutung, zu erfahren, in welcher Lage wir hier sind. Nachdem wir die Syrakuser, gegen die wir ausgesandt waren, in einer Reihe von Gefechten besiegt und die Festungswerke, in denen wir uns gegenwärtig befinden, erbaut hatten, kam der Lakedämonier Gylippos mit Truppen auS dem Peloponnes und einigen sizi­ lischen Städten hier an. In der ersten Schlacht wurde er von uns besiegt, in der am folgenden Tage aber konnten wir gegen seine zahlreichen Reiter und Scharfschützen nicht aufkommen und mußten uns in unsere Werke zurückziehen. Jetzt haben wir infolge der Menge unserer Feinde die Arbeit an unserer Ringmauer eingestellt und seitdem nichts weiter unternommen. Denn unser ganzes Heer würden wir dabei doch nicht ver­ wenden können, da ein Teil des schweren Fußvolks durch den Wachdienst an der Mauer in Anspruch genommen wird. Auch haben sie gegen uns eine neue einfache Mauer gebaut, so daß wir nicht mehr imstande sind, sie ganz einzuschließen, eS sei denn, daß man diese ihre Mauer mit überlegenen Kräften an­ greifen und erobern könnte. Anstatt, wie wir dachten, sie zu

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belagern, müssen wir nun erleben, daß es uns, wenigstens auf der Landseite, selbst so geht. Denn wegen ihrer Reiterei dürfen wir uns nicht weit ins Land hinauswagen.

„Sie haben auch nach dem Peloponnes geschickt und um Verstärkungen gebeten, und Gylippos hat sich in Sizilien auf Reisen begeben, um eine Anzahl bisher neutral gebliebener Städte zur Teilnahme am Kriege zu bewegen und in anderen womöglich noch Soldaten und Matrosen anfzntreiben. Denn wie ich höre, beabsichtigen sie nicht nur mit dem Landheere, sondern gleichzeitig auch von der See mit der Flotte einen Angriff gegen unsere Werke zu unternehmen. Daß auch von der See, darf euch nicht wundern. Denn wie sie recht gut wissen, war unsere Flotte anfangs in vortrefflichem Zustande, die Schiffe trocken, die Mannschaft reichlich; jetzt aber haben die Schiffe, nachdem sie so lange zu Wasser gewesen sind, von der Nässe gelitten, und die Mannschaft an Bord ist einge­ schmolzen. Denn wir können unsere Schiffe nicht an Land ziehen, um sie zu trocknen, weil wir bei der gleichen, ja über­ legenen Zahl der Schiffe der Feinde immer auf einen Angriff ihrer Flotte gefaßt sein müssen. Offenbar haben sie es darauf auch abgesehen; sie haben es ihrerseits in der Hand, uns jederzeit anzugreifen, auch eher Gelegenheit, ihre Schiffe zu trocknen, weil sie niemand damit aufzupassen brauchen.

„Wir aber würden dazu selbst bei großer Überzahl an Schiffen nicht imstande sein, auch weuu wir nicht wie jetzt alle unsere Schiffe zur Bewachung verwenden müßten. Denn wenn wir unsere Wachsamkeit auch nur etwas einshcränken, haben wir keine Lebensmittel mehr, deren Zufuhr an ihrer Stadt vorbei auch jetzt schon schwierig ist. Unser Bestand an Mannschaft aber ist sehr zurückgegangen und nimmt immer noch ab, und zwar aus folgenden Gründen. Wenn die Matrosen ans Land gehen, um zu plündern, oder Holz und Wasser weit herholen müssen, so werden sie von den Reitern niedergehauen. Die Diener laufen weg, seit es mit uns auf der Kippe steht, die Söldner, die man zum Dienst auf der Flotte gezwungen, suchen baldmöglichst wieder nach Hause zu kommen, und manhc

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einer, der anfangs durch hohen Lohn gelockt und mehr aufs Geld als aufs Fechten gesteuert war und sich nun unverhofft zur See und überall einem mächtigen Feind gegenüber sieht, reißt aus, um zum Feinde überzulaufen, oder macht sich sonst bei erster Gelegenheit aus dem Staube. Sizilien ist ja groß. Einige haben sogar auf eigene Hand Geschäfte gemacht und die Befehlshaber der Kriegsschiffe überredet, statt ihrer hykka­ rische Sklaven einzustellen, und dadurch hat die Maunszucht auf der Flotte gelitten.

„Ich schreibe euch, was ihr ja selbst wißt, daß der Stamm unserer ausgebildeten Seeleute klein ist und nur wenige daS Ruder beim Vorstoß oder Hemmen des Schiffes richtig zu brauchen verstehen. Das schlimmste für mich dabei aber ist, daß ich als Feldherr das nicht ändern kann, da mit euch Querköpfen nicht leicht fertigzuwerden ist, und daß wir nicht wissen, woher wir den Ersatz an Mannschaft nehmen sollen, wozu die Gegner reichlich Gelegenheit haben, während wir so­ wohl für den augenblicklichen Bedarf wie für weiteren Verlust auf den gleich anfangs mitgebrachten Bestand angewiesen sind. Denn die Städte, die jetzt noch zu uns halten, Naxos und Katana, sind nicht imstande, dem abzuhelfet. Sollte es gar dazu kommen, daß die italischen Orte, die uns bisher mit Lebensmitteln versorgt, zum Feinde übergingen, wenn sie uns hier in der Klemme nnd von Athen im Stich gelassen sehen, so sind wir hier eingeschlossen und gezwungen, unS zu ergeben, und die Gegner machen, ohne nochmals das Schwert zu ziehen, dein Kriege ein Ende.

Nun hätte ich euch vielleicht einen schmackhafteren Bericht er­ statten können, aber damit wäre euch schlecht gedient gewesen, wenn ihr bei euren Beratungen über unsere Lage hier zu­ treffend unterrichtet sein solltet. Zudem kenne ich euch, Athener; erst wollt ihr immer gute Nachrichten haben, und wenn es nachher dann doch anders kommt, so geht das Tadeln und Schelten los. Darum habe ich es für sicherer gehalten, euch reinen Wein einzuschenken.

„Darauf aber könnt ihr euch verlassen, daß, soweit es

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sich um die uns hier ursprünglich gestellte Aufgabe handelt, sowohl die Offiziere wie die Leute ihre volle Schuldigkeit getan haben. Da aber jetzt ganz Sizilien zusammenhält und weitere Streitkräfte aus dem Peloponnes erwartet werden, wir aber mit unseren Kräften hier nicht einmal den uns schon jetzt gegenüberstehenden Feinden gewachsen sind, so werdet ihr euch selbst sagen, daß ihr entweder euer Heer von hier zurückziehen oder ihm für den Land- und Seekrieg ein neues, mindestens ebenso starkes und dazu viel Geld nachschicken müßt. Für mich aber bitte ich einen Nachfolger zu senden, da ich eines Nierenleidens wegen nicht imstande bin, länger hierzubleiben. Ich rechne dabei auf eure Nachsicht; denn solange ich gesund war, habe ich euch im Felde manchen guten Dienst geleistet. Was ihr aber auch tun wollt, tut bald, gleich bei Beginn des Frühlings, und schiebt es nicht auf die lange Bank. Denn hier in Sizilien kann sich der Feind binnen kurzem alles ver­ schaffen, und wenn eure Gegner aus dem Peloponnes auch nicht so schnell kommen, so werden sie doch., wenn ihr nicht aufpaßt, wie das erste Mal unversehens oder früher hier sein als ihr."

So also lautete das Schreiben. Nachdem es vorgelesen war, nahmen die Athener Nikias den Oberbefehl zwar nicht ab, stellten ihm aber bis zur Ankunft neu gewählter Feldherren zwei . dortige Anführer, Menandros und Euthydemos, darin zur Seite, damit er bei seiner Krankheit die Last nicht allein zu tragen habe. Auch beschlossen sie, Verstärkungen für die Flotte und das Land­ heer hinzuschicken und dazu Athener aus der Stammrolle und Bundesgenossen einzustellen. Zu seinen Mitfeldherren aber wählten sie Demotshenes, Alkistheneö' Sohn, und Eurymedon, Thukles' Sohn. Eurymedon ließen sie sogleich um die Zeit der Winter- sonnenwende mit zehn Schiffen und hundertzwanzig Talenten nach Sizilien abgehen, um denen dort zugleich anzukündigen, daß Verstärkung kommen und für sie gesorgt werden würde.

Demosthenes blieb einstweilen in Athen und richtete sich zum Frühjahr auf die Fahrt ein, wozu er bei den Bundes­ genossen Truppen aufbot und sich in Athen mit Geld, Schiffen

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und Hopliten versehen ließ. Auch schickten die Athener zwanzig Schiffe in die peloponnesischen Gewässer, um dort aufzupassen, daß aus Korinth und dem Peloponnes nach Sizilien nichts hinüberkäme. Denn da die Gesandten aus Sizilien den Ko­ rinthern die Nachricht gebracht hatten, daß die Sachen dort jetzt besser ständen, waren diese überzeugt, schon das erste Mal die Schiffe grade zur rechten Zeit hingeschickt zu haben, und wollten nun noch höher hinaus. Sie machten also nicht nur selbst Anstalt, schweres Fußvolk auf Lastschiffen nach Sizilien zu senden, sondern lagen auch den Lakedämoniern an, aus dem übrigen Peloponnes ebenfalls Truppen hinüberzuschicken. Auch bemannten sie fünfundzwanzig Schiffe, um damit gegen daS athenische Geschwader bei Naupaktos einen Schlag zu führen, damit die Athener dort sich vor ihren Trieren in acht nähmen und die Abfahrt ihrer Lastschiffe nicht verhinderten.

Nun aber rüsteten sich auch die Lakedämonier zum Einfall nach Attika, wozu sie sich vorher schon entschlossen hatten und jetzt auch von den Syrakusern und Korinthern gedrängt wurden, da sie erfahren, daß die Athener Verstärkungen nach Sizilien schickten, und sie dieS durch den Einfall verhindern wollten. Auch Alkibiades empfahl ihnen dringend, Dekeleia zu befestigen und den Krieg auf der Stelle zu beginnen. Die Lakedämonier aber entschlossen sich dazu um so unbedenklicher, weil sie glaubten, die Athener, welche den doppelten Krieg gegen sie und die sizilischen Griechen führen mußten, jetzt leichter be­ siegen zu können, und überzeugt waren, daß die Athener den Frieden zuerst gebrochen hätten, während sie in dem vorigen Kriege eigentlich selbst im Unrecht gewesen seien. Hatten doch damals die Thebaner Platää mitten im Frieden überfallen und sie sich auf die von den Athenern verlangte richterliche Entscheidung nicht eingelassen, obgleich nach den früheren Ver­ trägen niemand mit Krieg überzogen werden durfte, der sich richterlicher Entscheidung unterwerfen wollte. Dadurch meinten sie, ihr damaliges Mißgeschick verdient zu haben, und dachten dabei an die bei Pylos und anderswo erlittenen Niederlagen. Nachdem jedoch die Athener auf den dreißig Schiffen aus

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Argos bei Epidauros, Prasiai und an anderen Orten gelandet waren, dort gebrandschatzt und von Pylos Streifzüge unter­ nommen, auch sich auf die von ihnen verlangte richterliche Ent­ scheidung einer über die Auslegung des Vertrags entstandenen Meinungsverschiedenheit niemals eingelassen hatten, glaubten die Lakedämonier, wenn das Unrecht früher auch auf ihrer Seite gewesen, so sei es jetzt auf Seite der Athener, und gingen deshalb um so zuversichtlicher in den Krieg. In diesem Winter ließen sie sich von ihren Bundesgenossen Eisen kommen und versahen sich auch sonst mit Gerätschaften für den Festungs­ ban. Zugleich richteten sie sich darauf ein, selbst Truppen auf Lastschiffen nach Sizilien zu schicken, und hielten auch die übrigen Peloponnesier dazu an. Damit endete der Winter und das achtzehnte Jahr des Krieges, den Thukydides be­ schrieben hat.

Gleich im Beginn des nächsten Frühjahrs fielen die Lake­ dämonier und ihre Verbündeten so früh wie möglich nach Attika ein. Den Oberbefehl führte der lakedämonische König Agis, Archidamos' Sohn. Zuerst verheerten sie das platte Land, dar­ nach befestigten sie Dekeleia, wobei sie die Arbeit nach Städten unter sich verteilten. Dekeleia ist ungefähr hundertzwanzig Stadien von der Stadt Athen entfernt und etwa ebenso weit oder doch nicht viel weiter von Böotien. Die Festung wurde auf einer ebenen Fläche, an einer zu Streifzügen ins Land be­ sonders geeigneten Stelle angelegt, und man konnte sie von der Stadt Athen aus noch sehen. Während die Peloponnesier und ihre Verbündeten an der Festung arbeiteten, sandte man gleich­ zeitig aus dem Peloponnes Hopliten auf Lastschiffen nach Si­ zilien, wozu die Lakedämonier aus den Heloten und den schon früher Freigelassenen die tüchtigsten ausgewählt und sie, zu­ sammen gegen sechshundert Hopliten, dem Spartiaten Ekkritos unterstellt, die Böotier aber dreihundert Hopliten geschickt hatten, welche Senon und Nikon aus Theben und Hegesandros aus Thespiai befehligten. Diese brachen zuerst auf und gingen von Tainaron in Lakonien in See. Bald nachher schickten die Korinther fünfhundert Hopliten, teils aus Korinth selbst,

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teils geworbene Arkadier, unter dem Korinther Alerarchos ihnen nach. Zu gleicher Zeit mit den Korinthern wurden auch aus Sikyon zweihundertHopliten hinausgesandt, welche Sargeus auS Sikyon anführte. Die im Laufe des Winters in Dienst gestellten fünfundzwanzig Schiffe der Korinther aber blieben den zwanzig athenischen Schiffen bei Naupaktos gegenüber liegen, bis ihre Lastschiffe mit den Hopliten vom PeloponneS abgefahren waren. Man hatte sie ja auch von vornherein nur eingestellt, um die Athener zu zwingen, ihre Aufmerksamkeit auf die Kriegsschiffe und nicht auf die Lastschiffe zu richten.

Unterdessen schickten die Athener auch noch im Beginn des Frühjahrs, während Dekeleia befestigt wurde, gleich dreißig Schiffe unter Charikles, Apolodoros' Sohn, nach dem Pelo­ ponnes mit dem Befehl, Argos anzulaufen und dort dem Bundesvertrage gemäß argeiisches Fußvolk an Bord zu nehmen. Demosthenes aber sandten sie, wie man das ja schon vorher beschlossen hatte, nach Sizilien mit sechzig athenischen und fünf chiischen Schiffen, zwölfhundert Hopliten aus der Bürger­ stammrolle und allem, waS auf den Inseln und bei den übrigen untertänigen Bundesgenossen an brauchbarer Mannschaft irgend zu haben gewesen war. Zunächst jedoch sollte er sich mit Charikles vereinigen, um ihn bei seinen Unternehmungen an der Küste Lakoniens zu untertsützen. Demotshenes fuhr dann auch mit seiner Flotte nach Agina ab und wartete dort auf etwa zurückgebliebene Schiffe und die Nachricht, daß Charikles die Argeier an Bord genommen.

In Sizilien war Gylippos um dieselbe Zeit in diesem Frühjahr mit allem, was er an Truppen in den Städten, die sich ihm angeschlossen, nur irgend hatte auftreiben können, in Syrakus wieder angekommen. Hier berief er die Syrakuser zu einer Versammlung und erklärte, sie müßten so viel Schiffe wie möglich bemannen und es darauf wagen, eine Seeschlacht zu liefern; denn davon könne man sich für den weiteren Verlauf des Krieges einen Erfolg versprechen, der ein solches Wagnis wohl wert sei. Mit ihm sprach sich besonders auch Hermo­ krates dafür aus, daß sie sich vor einer Seeschlacht mit den

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Athenern nicht zu fürchten brauchten; denn auch diesen sei die Tüchtigkeit zur See nicht von Haus aus angeboren, ja im Grunde seien sie ärgere Landratten als die Syrakuser und erst durch die Perser gezwungen worden, sich auf die See zu werfen. Wenn man solch kühnen Leuten wie den Athenern mit gleicher Kühnheit begegne, so werde man in ihren Augen der gefährlichste Feind sein. Denn wie diese andere manchmal selbst mit schwächeren Kräften bloß durch ihr kühnes Draus­ gehen schreckten, so würde das ihnen dem Gegner gegenüber ebensogut möglich sein. Er seinerseits zweifle nicht daran, daß der Nachteil, in dem sich die Syrakuser bei ihrer geringeren Erfahrung der Geschicklichkeit der Athener gegenüber befanden, durch einen unverhofften kühnen Angriff auf ihre Flotte und den ihnen dadurch verursachten Schrecken mehr als aufgewogen werden würde. Sie möchten es also nur unbedenklich mit einer Seeschlacht wagen. Nachdem Gylippos und Hermokrates und noch einige andere ihnen also zugeredet hatten, begeisterten sich die Syrakuser für eine Seeschlacht und beschlossen, ihre Schiffe zu bemannen.

Als die Schiffe klar, führte Gylippos bei Nacht sein ganzes Heer hinaus, um die Befestigungen aus dem Plemmyrion seinerseits zu Lande anzugreifen, während gleichzeitig, wie verabredet, fünfunddreißig Kriegsschiffe der syrakusischen Flotte aus dem großen Hafen vorgingen und die fünfundvierzig aus dem kleinen Hafen, wo ihre Werft war, herumkamen in der Absicht, sich mit denen im großen Hafen zu vereinigen und sich dann gemeinsam gegen das Plemmyrion zu wenden, damit die Athener von beiden Seiten in Atem gehalten würden. Die Athener aber bemannten ebenfalls eiligst sechzig Schiffe und schickten fünfundzwanzig gegen die fünfunddreißig syrakusischen im großen Hafen vor, die übrigen aber den von der Werft herumkommenden entgegen. Auch kam es am Ein­ gange des großen Hafens sogleich zur Schlacht, in der beide längere Zeit einander standhielten, die einen die Einfahrt zu erzwingen, die anderen sie zu verhindern suchten.

Inzwischen war Gylippos, während die Athener auf dem

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Plemmyrion sich nach dem Strande hinuntergezogen und den Gang der Seeschlacht beobachtet hatten, bei Tagesanbruch unbemerkt bis an ihre Festungswerke gelangt und hatte sich zuerst des größten und dann auch der beiden kleineren Werke bemächtigt, deren Besatzungen nicht standhielten, als sie sahen, daß das größte so rasch genommen war. Aus dem zuerst genommenen war die Mannschaft, auch so weit sie sich auf irgendein Fahrzeug oder eines der Lastschiffe gerettet, nur mit genauer Not ins Lager gelangt. Denn da die syrakusischen Schiffe in der Schlacht im großen Hafen damals im Vorteil waren, hatte eine einzelne schnelle Triere Jagd auf sie gemacht. Als die beiden kleineren Werke genommen wurden, aber war die syrakusische Flotte schon besiegt, und die Mannschaft konnte sich von dort leichter zurückziehen. Die Schiffe der Syrakuser nämlich, welche vor der Hafeneinfahrt gefochten und die athe­ nische Flotte durchbrochen hatten, waren ohne jede Ordnung auf sie eingedrungen und durcheinander geraten und verhalfen dadurch den Athenern zum Siege. Denn die Athener besiegten nicht nur sie, sondern auch die anderen, denen sie anfangs im Hafen unterlegen waren. Sie versenkten elf syrakusische Schiffe und töteten den größten Teil der Mannschaft bis auf die von drei Schiffen, die sie gefangen nahmen. Sie selbst hatten drei Schiffe verloren. Sie bargen die Trümmer der syrakusischen Schiffe, errichteten ein Siegeszeichen und zogen sich darauf in ihr.Lager zurück.

So waren die Syrakuser in der Seeschlacht allerdings schlecht weggekommen, dafür aber waren sie jetzt im Besitz der Werke auf dem Plemmyrion und errichteten dort drei Sieges­ zeichen. Das eine der beiden zuletzt gewonnenen Werke trugen sie ab, die beiden anderen setzten sie wieder instand und legten Besatzungen hinein. Bei Einnahme der Werke waren viele darin ums Leben gekommen oder in Gefangenschaft geraten und alle die großen Vorräte dort ihnen in die Hände gefallen. Denn da sie den Athenern als Magazin gedient hatten, befand sich dort Kaufmannsgut, Getreide und Eigentum der Trierarchen in Menge, wie denn auch Segel für vierzig Kriegsschiffe nebst

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anderem Schiffsgerät und drei ans Land gezogene Trieren dort erbeutet wurden. Die Einnahme des Plemmyrions war einer der ersten schweren Schläge, von denen das athenische Heer betroffen wurde. Denn auch auf die Zufuhr von Lebens­ mitteln über See war jetzt nicht mehr mit Sicherheit zu rechnen, da die Syrakuser mit ihren Schiffen aufpaßten und die Ein­ fahrt zu verhindern suchten, so daß es schon dabei nicht ohne Kampf abging. Überhaupt war die Zuversicht und der Mut des Heeres dadurch erschüttert.

Hierauf sandten die Syrakuser zwölf Schiffe unter dem Befehl des Syrakusers Agatarchos hinaus. Eins aber trennte sich von ihnen, um Gesandte nach dem Peloponnes zu bringen, welche dort ihre immer noch bedenkliche Lage schildern und darauf dringen sollten', daß der Krieg drüben nachdrücklicher betrieben würde. Die übrigen elf schlugen die Richtung nach Italien ein, da bekannt geworden war, daß Schiffe mit Vor­ räten für die Athener von dort im Ansegeln seien, die sie auch trafen und größtenteils zerstörten. Bei Kaulonia steckten sie das dort für die Athener gelagerte Schiffsbauholz in Brand. Darauf fuhren sie nach Lokroi. Während sie hier vor Anker lagen, traf eins der Lastschiffe aus dem Peloponnes dort ein, auf dem sich die Hopliten aus Thespiai befanden. Die Syrakuser nahmen diese an Bord und machten sich dann auf die Rückfahrt. Die Athener aber lauerten ihnen mit zwanzig Schiffen bei Megara auf und nahmen ihnen ein Schiff mit-' samt der Mannschaft weg, während die übrigen glücklich wieder nach Syrakus gelangten.

Im Hafen aber kam es zu einem Schützengefecht um die Pfähle, welche die Syrakuser vor ihren alten Schiffshäusern in der See eingerammt hatten, damit sie mit ihren Schiffen dahinter vor Anker gehen und die Athener mit ihren Schiffen ihnen nichts anhaben könnten. Die Athener brachten nämlich ein mächtiges Lastschiff, auf dem hölzerne Türme und Schutz­ wehren angebracht waren, an sie heran und warfen aus den Booten Schlingen um die Pfähle, um sie zu lockern und dann herumzuziehen oder durch Taucher absägen zu lassen. Die

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Syrakuser schossen aus den Schtffshäusern und die Athener von ihrem Schiffe auf die Syrakuser. Schließlich gelang eS jedoch den Athenern, den größten Teil des Pfahlwerks zu zerstören. Die größte Schwierigkeit machten ihnen die blinden Pfähle. Sie waren nämlich zum Teil so tief in den Boden eingerammt, daß sie nicht aus dem Wasser sahen, so daß die herankommenden Schiffe Gefahr liefen, sich unversehens wie auf einer Klippe festzufahren. Doch auch diese wurden durch Taucher, die dafür belohnt wurden, unter Wasser abgesägt. Trotzdem stellten die Syrakuser ein neues Pfahlwerk her. Auch sonst versuchte man, wie das unter zwei sich so nah gegen­ überstehenden Heeren nicht ausbleiben konnte, einander möglichst Abbruch zu tun, und es gab beständig kleine Raufereien und Scharmützel. Die Syrakuser schickten auch Gesandte aus der Zahl der dort anwesenden Korinther, Amprakier und Lake­ dämonier an die anderen Städte, um ihnen die Nachricht zu bringen, daß sie das Plemmyrion genommen hätten und auch in der Seeschlacht nur infolge ihrer eigenen Unordnung, keines­ wegs durch die Stärke ihrer Feinde besiegt worden seien. Zugleich sollten sie ihnen von neuem verischern, daß ihre Aus­ sichten gut wären, und sie bitten, ihnen Schiffe und Truppen gegen die Athener zu Hilfe zu schicken, da diese ebenfalls ein neueS Heer erwarteten. Deshalb müßten sie schnell kommen, damit man das jetzige vernichten und dem Kriege ein Ende machen könne. Dergestalt verlief der Krieg in Sizilien.

Unterdessen hatte sich Demotshenes, sobald die Flotte, mit der er nach Sizilien sollte, beisammen war, von Agina nach dem Peloponnes aufgemacht und mit den dreißig athenischen Schiffen unter Charikles vereinigt. Darauf waren beide, nach­ dem man die Hopliten in Argos an Bord genommen, nach Lakonien weitergefahren. Hier verheerten sie zuerst die Um­ gegend Epidauros-Limera und landeten dann an der lakonischen Küste Kythera gegenüber beim Tempel des Apollon, wo sie einen Strich Landes verwüsteten. Auch legten sie auf einer vor­ springenden Landspitze ein Festungswerk an, damit die den Lakedämoniern entlaufenen Heloten sich dahin flüchten und [*]( u )

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von dort ihr Räuberhandwerk treiben und wie von Pylos Streifzüge machen könnten. Demosthenes fuhr gleich, nachdem er den Platz erst selbst noch mit in Besitz genommen hatte, mit seiner Flotte nach Kerkyra weiter, um dort noch Bundes­ genossen an Bord zu nehmen und dann die Fahrt nach Sizilien so schnell wie möglich fortzusetzen. Charikles aber blieb dort, bis der Platz befestigt war, ließ eine Besatzung darin zurück und fuhr dann mit seinen dreißig Schiffen und den Argeiern wieder nach Hause.

In diesem Sommer kamen noch dreizehnhundert jener leichtbewaffneten Säbelthraker vom Stamm der Dier in Athen an, die mit Demotshenes zu Schiff nach Sizilien gesollt hatten. Da sie aber zu spät kamen, hielt man es in Athen für besser, sie wieder nach Thrakien zurückzuschicken, woher sie gekommen waren. Denn sie für den Krieg gegen Dekeleia dort zu be­ halten, schien zu teuer, da man jedem täglich eine Drachme hätte zahlen müssen. Dekeleia war nämlich im Laufe des Sommers zuerst vom ganzen Heere befestigt und von den einander von Zeit zu Zeit ablösenden Bundestruppen besetzt geblieben und tat, seitdem es dem Feinde als Waffenplatz im Lande diente, den Athenern vielen Schaden, wobei sie nament­ lich die Verwüstung ihrer Besitzungen und den Verlust an Leuten schmerzlich empfanden. Denn früher bei den vorüber­ gehenden kurzen Einfällen hatten sie in der Zwischenzeit ihre Ländereien immer benutzen können. Jetzt aber, wo sich die Feinde dort dauernd festgesetzt hatten, bald neue größere Zuzüge kamen, bald die ständige Besatzung notgedrungen im Lande streifte und es ausplünderte, auch der persönlich anwesende lake­ dämonische König Agis den Krieg mit großem Nachdruck be­ trieb, war es für die Athener ein Pfahl im Fleische. Denn das ganze Land war in Feindes Hand, mehr als zwanzig­ tausend Sklaven, zumeist Handwerker, waren ihnen entlausen, Vieh und Zugtiere zugrunde gegangen und die Pferde infolge der von der Reiterei gegen Dekeleia und zum Schutze des Landes beständig unternommenen Streifzüge durch Überanstrengung auf dem steinigen Boden lahm oder zuschauden geworden.

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