History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Das war nämlich bei ihnen mehr als anderswo schon seit ältester Zeit Sitte gewesen. Unter Kekrops und den ersten Königen bis auf Theseus lebte man in Attika in einzelnen Ortschaften, die ihre eigenen Prytanen und Archonten hatten. Wenn nicht grade eine besondere Gefahr drohte, kam man auch nicht beim Könige zu gemeinsamer Beratung zusammen, sondern die einzelnen Gemeinden halfen und regierten sich selbst, führten wohl gar mal Krieg untereinander, wie die Eleusinier mit Eumolpos gegen Erechtheus. Als aber Theseus König geworden war, der, ein ebenso kluger wie mächtiger Herr, über­ haupt erst Ordnung im Lande schuf, machte er den Prytanen und Archonten in den einzelnen Ortschaften ein Ende und ver­ einigte diese zu der jetzigen einen Stadt mit nur einem Rat und Prytaneum für alle. Er ließ ihnen zwar die selbständige Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten wie bisher, machte

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sie aber politisch zu einem Gemeinwesen, das damit, weil ihm nun alle angehörten, zu einer ansehnlichen Stadt wurde und als solche von Theseus auf seine Nachfolger überging. Darum feiern die Athener bis auf den heutigen Tag von Staats wegen noch ihr Eingemeindungsfest zu Ehren der Göttin. Früher bestand die Stadt nur aus der.Burg und dem südlich daran stoßenden Stadtteil. Das kann man noch daran sehen, daß die Tempel auch anderer Götter auf der Burg selbst oder doch vorzugsweise in diesem Stadtteil liegen, so der Tempel des olympischen Zeus, das Phythion, der Tempel der Ge und der ! des Dionysos im Brühl, dem zu Ehren am Zwölften des E Monats Anthesterion die alten Dionysien gefeiert werden, wie es auch bei den von den Athenern abstammenden Joniern noch jetzt gehalten wird. In dieser Gegend liegen noch mehrere andere alte Tempel. Auch die Quelle dort in der Nähe, welche, seit sie von den Tyrannen in jetziger Weise gefaßt wurde, Enneakrunos heißt, in älterer Zeit aber, wo sie noch ungefaßt war, Kallirrhoe genannt wurde, stand vor alters in besonderem Ansehen, und von der Zeit hat sich bis heute der Glaube er­ halten, daß man bei Hochzeiten und dergleichen feierlichen Ge­ legenheiten das Wasser aus dieser Quelle holen müsse. Und eben, weil man sich hier zuerst angebaut hatte, wird die Burg von den Athenern immer noch die Stadt genannt.

Da die Athener so lange als ihre eigenen Herren auf dem Lande gelebt und auch nach ihrer Vereinigung sowohl in älterer Zeit als auch später noch bis zu diesem Kriege dort vielfach nach alter Gewohnheit nicht nur ihre eingerichteten Wohnungen gehabt, sondern auch wirklich gewohnt hatten, wurde ihnen dieser Aufbruch schwer genug, zumal sie sich dort nach dem Perserkriege eben erst wieder häuslich eingerichtet hatten. Es wollte ihnen nicht in den Sinn und war ihnen schmerzlich, sich von ihren Häusern und den ihnen aus der Zeit der älteren Verfassung immer ehrwürdig und teuer gebliebenen Heiligtümern zu trennen und sich völlig umleben zu müssen; ja es kam ihnen allen gradezu wie ein Abschied von der Heimat vor.

Bei ihrer Ankunft in der Stadt fanden die wenigsten dort

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Wohnungen oder ein Unterkommen bei Freunden und Ver­ wandten. Die meisten behalfen sich auf den freien Plätzen der s Stadt oder quartierten sich überall in den Tempeln der Götter und Heroen ein, ausgenommen allein die Burg und das Eleu­ l sinion und was sonst etwa Schloß und Riegel hatte. Selbst das sogenannte Pelasgikon am Fuße der Burg richtete man jetzt notgedrungen zu Wohnungen ein, obgleich ein Fluch darauf stand, dort zu wohnen, und ein pythisches Orakel ausdrück­ lich davor gewarnt hatte, an dessen Schlüsse es hieß: „Doch besser, das Pelasgikon bleibt unbewohnt." Nach meiner Meinung freilich war das Orakel gar nicht so gemeint, wie man es damals verstand: nicht das unerlaubte Wohnen dort werde die Stadt in Not bringen, sondern der Krieg werde dermaleinst dazu nötigen, dort zu wohnen. Den hatte das Orakel allerdings nicht genannt, wohl aber vorher gewußt, daß nur die Not dazu zwingen würde, auch dort Wohnungen ein­ zurichten. Viele behalfen sich auch in den Türmen der Stadt­ mauer oder wo sie sonst ein Unterkommen fanden. Denn es '.fehlte in der Stadt an Platz für die vielen darin zusammen­ ! gepferchten Menschen, so daß später sogar die langen Mauern uund der größte Teil der Mauer um den Peiraieus zu Woh­ nungen eingerichtet werden mußten, um die Leute unterzubringen. Unterdessen wurden jedoch die Rüstungen fortgesetzt, die Bundes­ genossen aufgeboten und hundert Schiffe zu einer Fahrt nach dem Peloponnes in Dienst gestellt. So weit war man in Athen mit den Anstalten zum Kriege.

Inzwischen gelangte das Heer der Peloponnesier auf seinem Marsche zunächst nach Oinoe, wo der Einfall erfolgen sollte. Hier machte es halt und schickte sich an, die Festung mit Sturm zu nehmen. Denn Oinoe, an der Grenze von Attika und Böotien, war Festung und diente als solche den Athenern, die, wenn es nach Krieg aussah, eine Besatzung hineinlegten. Man kam jedoch über die Vorbereitungen nicht hinaus und verlor hier unnütz seine Zeit. Dadurch aber zog Archidamos sich arge Nackenschläge zu. Meinte man, daß er sich schon vor Beginn des Krieges schwach und als Athenerfreund gezeigt habe, so

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wollte man ihm jetzt, nachdem das Heer beisammen, sein Zaudern auf dem Isthmus und die Langsamkeit des weiteren Vormarsches, namentlich aber den langen Aufenthalt bei Oinoe, erst recht nicht verzeihen. Denn unterdessen hatten die Athener alles in Sicherheit gebracht, während es, wenn er sich nicht so viel Zeit gelassen und seinen Marsch beschleunigt hätte, den Peloponne­ siern wahrscheinlich noch in die Hände gefallen wäre. So war man wegen dieses Aufenthalts im Heere auf Archidamos schlecht zu sprechen. Er aber hielt sich, wie es heißt, deshalb so lange dort aus, weit er immer noch darauf rechnete, die Athener würden nachgeben und es nicht auf die Verwüstung ihres Landes ankommen lassen.

Da alle Versuche der Peloponnesier, das von ihnen be­ lagerte Oinoe zu nehmen, erfolglos blieben, auch die Athener sich nicht auf Verhandlungen einließen, brachen sie, etwa acht­ zig Tage nach dem Überfall von Platää durch die Thebaner, im Sommer, als das Korn zur Reife stand, von dort auf und rückten nach Attika ein. Archidamos, Zeuxidamos' Sohn, König der Lakedämonier, befehligte das Heer. Nachdem sie ein Lager bezogen, verheerten sie erst Eleusis und die Ebene von Thria, lieferten auch bei den sogenannten Rheitoi ein glückliches Ge­ fecht gegen athenische Reiterei. Darauf zogen sie weiter, das Gebirge Aigaleos zur Rechten, durch Kropeia nach Acharnai, i dem größten unter den sogenannten attischen Demen. Hier ! machten sie halt und schlugen ein Lager auf, von wo sie längere Zeit die Umgegend verheerten.

Angeblich hat sich Archidamos damals, als er hier bei Acharnai schlachtbereit stehen blieb und bei diesem Einfall nicht weiter in die Ebene vordrang, die Sache so gedacht: Er nahm an, daß die Athener, mit ihrer zahlreichen jungen Mann­ schaft und zum Kriege gerüstet wie nie zuvor, sich sicherlich außerhalb der Stadt zur Schlacht stellen und der Verwüstung ihres Landes nicht ruhig zusehen würden. Nachdem es bei Eleusis und in der Ebene von Thria dazu nicht gekommen war, wollte er versuchen, ob sie sich jetzt nicht zu einem Angriff auf seine Stellung bei Acharnai verleiten ließen. Denn wie er

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einerseits Acharnai für einen besonders geeigneten Lagerplatz hielt, so glaubte er anderseits, die Acharner, die einen sehr ansehnlichen Teil der Bürgerschaft ausmachten und dreitausend Hopliten stellten, würden die Verwüstung ihrer Besitzungen schwerlich ruhig mit ansehen, sondern auch die übrigen zu einer Schlacht zu bestimmen suchen. Sollten die Athener trotzdem bei diesem Einfall nicht herauskommen, so würde er ihnen das nächste Mal um so unbedenklicher die Ebene verheeren und bis an die Stadt selbst rücken können; denn dann würden die Acharner, nachdem sie das Ihrige verloren, keine Lust mehr haben, ihre Haut für fremdes Gut zu Markte zu tragen, und die Athener sich infolgedessen untereinander in die Haare ge­ raten. In dieser Weise wird Archidamos bei Acharnai die Sache angesehen haben.

Solange das feindliche Heer noch bei Eleusis und in der Ebene von Thria stand, durften die Athener immer noch hoffen, daß es nicht weiter vorrücken würde. Erinnerte man sich doch, daß auch König Pleistoanax, Pausanias' Sohn, als er vierzehn Jahr vor diesem Kriege mit einem peloponnesischen Heere in Attika bis nach Eleusis und Thria vorgedrungen, hier umgekehrt und wieder abgezogen war. Allerdings war er dafür auch aus Sparta verbannt worden, weil man glaubte, er sei zu diesem Rückzug? bestochen gewesen. Als sie aber das Heer schon bei Acharnai, sechzig Stadien von der Stadt, sahen, wurde es ihnen doch zu viel. Daß das Land so unter ihren Augen verwüstet wurde, wie das die Jüngeren noch nie, die Älteren nur in den Perserkriegen erlebt hatten, schien ihnen begreiflihcerweise entsetzlich, und namentlich die Jüngeren meinten, man könne das unmöglich länger mit ansehen, sondern müsse dem Feinde zu Leibe gehen. Immerhin waren die Mei­ nungen geteilt, und es kam zu lebhaften Erörterungen, indem die einen verlangten, man solle den Feind draußen angreifen, andere aber sich dagegen erklärten. Wahrsager ließen sich mit allerlei Prophezeiungen hören, die jeder sich auf seine Weise zurechtlegte. Die Acharner aber, die in Athen denn doch auch was zu bedeuten glaubten und nun die Verwüstung ihres

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Landes mit ansehen mußten, drängten am meisten zum Angriff. So herrschte in der Stadt allgemeine Aufregung und große Erbitterung gegen Perikles. Uneingedenk der guten Lehren, die er ihnen vorher gegeben hatte, schalten sie auf den Feld­ herrn, der sie nicht vor den Feind führen wolle, und betrachteten ihn als den Urheber aller ihrer Leiden.

Perikles sah recht gut, wie widerwillig sie diesen Zustand ertrugen und wie schlecht sie auf ihn zu sprechen waren, blieb aber nach wie vor bei seiner Ansicht, daß man sich draußen auf keine Schlacht einlassen dürfe. Er ließ es deshalb weder zu einer Volksversammlung noch zu anderen Zusammenkünften kommen aus Furcht, daß eine so vielköpfige Versammlung, statt die Sache verständig zu erwägen, sich von ihrer Stimmung hinreißen lassen und Dummheiten machen könnte. Inzwischen ließ er jedoch die Stadt sorgfältig bewachen und die Ruhe möglichst aufrechterhalten. Auch schickte er beständig Reiter aus, um zu verhindern, daß feindliche Streifpartien in der Nähe der Stadt die Felder verwüsteten. Bei der Gelegenheit kam es bei Phrygioi mal zu einem Gefecht zwischen einer Ab­ teilung athenischer und thessalischer Reiter und der böotischen Reiterei, in dem sich die Athener und Thessaler gut hielten, bis sie sich dann doch zurückziehen mußten, weil den Böotiern schweres Fußvolk zu Hilfe kam. Die Athener und Thessaler hatten dabei einige Tote, die sie jedoch noch an demselben Tage auch ohne Waffenstillstand wieder mitnehmen konnten. Die Peloponnesier aber errichteten am Tage daraufein Siegeszeichen. Die Thessaler waren auf Grund des alten Bundesverhält­ nisses zu den Athenern gestoßen, infolgedessen sich Larisaier, Pharsaler, Parasier, Kranonier, Pyrasier, Gyrtonier und Pheraier bei ihnen eingefunden hatten. Ihre Anführer waren aus Larisa Polymedos und Aristonus, von jeder Partei einer, aus Pharsalos Menon, und ebenso hatten auch die übrigen alle ihre eigenen Befehlshaber.

Da die Athener doch nicht zur Schlacht herauskamen, brachen die Peloponnesier von Acharnai auf und verwüsteten noch einige Deinen zwischen Parnes und Britessos. Während

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sie dort noch im Lande waren, gingen die Athener mit den hundert in Dienst gestellten Schiffen, tausend Hopliten und vierhundert Bogenschützen unter Karkinos, Xenotimos' Sohn, Proteas, Epikles' Sohn, und Sokrates, Antigones' Sohn, nach dem Peloponnes unter Segel und kreuzten damit in den dortigen Gewässern. Die Peloponnesier aber blieben in Attika, solange sie dort zu leben hatten; darauf zogen sie wieder ab, jedoch nicht auf dem Wege, auf dem sie gekommen waren, sondern durch Böotien. Unterwegs verwüsteten sie bei Oropos das sogenannte gra'ische Land, das von Oropiern unter athenischer Hoheit bewohnt wird. Als sie im Peloponnes wieder an­ gekommen waren, ging das Heer auseinander und jeder in seine Heimat.

Nach ihrem Abzüge richteten die Athener über Land und See einen Wachdienst ein, wie sie ihn für die Dauer des Krieges beibehalten wollten. Auch beschlossen sie, aus dem Burgschatz tausend Talente als unangreifbaren Bestand zurück­ zulegen und die Kriegskosten nur aus dem übrigen zu bestreiten, auch jeden, der vorschlagen oder dafür stimmen würde, dies Geld anzugreifen, es sei denn, daß man die Stadt gegen den Angriff einer feindlichen Flotte verteidigen müsse, mit Todes­ strafe zu bedrohen. Weiter beschlossen sie, alljährlich aus den s hundert besten Trieren und den für sie bestimmten Befehls­ habern ein besonderes Geschwader zu bilden, von dem, wie von jenem Gelde, nur in solchem äußersten Notfall Gebrauch gemacht werden sollte.

Die inzwischen noch durch fünfzig Schiffe aus Kerkyra und andere Bundesgenossen aus jener Gegend verstärkten Athener auf den hundert Schiffen kreuzten um die peloponnesischen Küsten und richteten dort mancherlei Schaden an. Sie landeten auch bei Methone in Lakonien und machten einen Angriff auf die nur schwach befestigte und unbesetzte Stadt. Zufällig be­ fand sich der Spartaner Brasidas, Tellis' Sohn, als Befehls­ haber eines Postens dort in der Nähe, der, als er davon hörte, den Einwohnern mit hundert Hopliten zu Hilfe kam. Auch gelang es ihm, sich durch die athenischen Truppen, die sich in

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der ganzen Gegend zerstreut und nur die Stadt im Auge hatten, mit Verlust nur weniger Leute nach Methone durchzuschlagen und die Stadt zu retten. Wegen dieser mutigen Tat war er auch der erste, der in Sparta in diesem Kriege öffentlich be­ lobt wurde. Die Athener gingen hierauf wieder unter Segel und fuhren weiter, zunächst nach Pheia in Elis, verwüsteten zwei Tage das dortige Gebiet und erfochten einen Sieg über eine dreihundert Mann starke auserwählte Schar, welche aus der Umgegend und dem hohlen Elis herbeigeeilt war. Da sich jedoch ein starker Wind aufmachte und sie an der hafenlosen Küste dem Wetter zu sehr ausgesetzt waren, gingen die meisten wieder an Bord und fuhren um das Vorgebirge Jchthys herum in den Hafen von Pheia; die Messenier aber und einige andere, welche die Schiffe nicht mehr hatten erreichen können,Marschierten zu Lande nach Pheia und besetzten die Stadt. Nachher nahmen die inzwischen dort angelangten Schiffe auch sie wieder an Bord und gingen, da auch die Hauptmacht der Eleer bereits im Anzüge war, von Pheia wieder in See. Die Athener aber fuhren fort, die peloponnesischen Küstengegenden von ihren Schiffen aus zu verwüsten.

Um dieselbe Zeit schickten die Athener dreißig Schiffe in die lokrischen Gewässer, welche zugleich die Ausgabe hatten, Euboia zu decken. Den Oberbefehl darüber führte Kleopompos, Kleimas' Sohn. Er landete wiederholt an der Küste, ver­ heerte einige Ortschaften und eroberte Thronion, wo er sich von den Einwohnern Geiseln geben ließ; auch schlug er einen lokrischen Heerhaufen, der sich ihm bei Alope entgegenstellte, in die Flucht.

In demselben Sommer vertrieben die Athener die Ägineten mit Weib; und Kind von ihrer Insel, da sie ihnen schuld gaben, sie seien die Hauptursache an diesem Kriege. Auch hielten sie es zu ihrer Sicherheit für besser, die so nahe am Peloponnes gelegene Insel Ägina mit eigenen Ansiedlern zu besetzen, die sie zu dem Ende denn auch bald darauf dorthin schickten. Die Lakedämonier aber räumten den vertriebenen Agineten Thyrea als Wohnort ein und wiesen ihnen dort Land

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an,, teils aus Haß gegen die Athener, teils mit Rücksicht auf die guten Dienste, welche die Ägineten ihnen zur Zeit des Erdbebens und des Helotenaufstandes geleistet hatten. Die Landschaft Thyreatis liegt zwischen Argolis und Lakonien und reicht bis an die See. Die Agineten ließen sich auch zum Teil dort nieder; die übrigen zerstreuten sich über ganz Griechenland.

In demselben Sommer trat bei Neumond, wo es an­ scheinend auch allein möglich ist, nach Mittag eine Sonnen-' finsternis ein. Hinterher nahm die Sonne ihre vollständige Gestalt wieder an, nachdem sie eine Zeitlang wie eine Mond­ sichel ausgesehen hatte und auch einzelne Sterne sichtbar ge­ worden waren.

In demselben Sommer machten die Athener auch Nympho­ doros, Pythes' Sohn, aus Abdera, dessen Schwester mit Sitalkes verheiratet war, und bei dem er viel galt, zu ihrem Staats­ gatsfreunde. Während sie ihn früher als ihren Feind angesehen hatten, luden sie ihn jetzt nach Athen ein, weil ihnen daran lag, den Thrakerkönig Sitalkes, den Sohn des Teres, als Bundesgenossen zu gewinnen. Dieser Teres, Sitalkes' Vater, hatte den Odrysen erst die Herrschaft über den größten Teil von Thrakien verschafft; gutenteils nämlich sind die Thraker immer noch unabhängig. Übrigens hat dieser Teres mit Tereus, welcher Prokne, die Tochter Pandions aus Athen, zur Frau hatte, nichts zu tun; beide waren gar nicht mal aus dem­ selben Thrakien. Denn Tereus lebte in Daulia, jener damals von Thrakern bewohnten Landschaft, welche jetzt Phokis heißt. Hier war es auch, wo die Weiber die Untat an Jtys verübten, wie denn auch manche Dichter, welche die Nachtigall erwähnen, diese den daulischen Vogel nennen. Wahrscheinlich gab doch auch Pandion seine Tochter lieber einem Manne in der Nähe zur Frau, wo beide was voneinander hatten, als einem dort in dem viele Tagereisen entfernten Odrysenlaude. Teres da­ gegen, der ja auch nicht mal denselben Namen mit ihm führte, war der erste mächtige König der Odrysen. Dessen Sohn Sitalkes also wollten die Athener gern zum Bundes­ genossen haben, weil sie auf seine Hilfe gegen Perdikkas und

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im thrakischen Küstenlande hofften. Nymphodoros kam auch wirklich nach Athen und brachte das Bündnis mit Sitalkes zustande. Er verschaffte dessen Sohne Sadokos das athenische Bürgerrecht und machte sich anheischig, dem Kriege an der thrakischen Küste ein Ende zu machen und Sitalkes zu be­ tsimmen, den Athenern ein aus Reiterei und leichtem Fußvolk gebildetes Heer zu Hilfe zu schicken. Auch söhnte er Perdikkas mit den Athenern aus, die sich dabei ihrerseits dazu verstanden, Therme an Perdikkas zurückzugeben, worauf dieser sich sogleich . mit Phormion und den Athenern zu einem Feldzuge gegen die Chalkidier vereinigte. So wurden Sitalkes, Teres' Sohn, der Thrakerkönig, und Perdikkas, Alexanders Sohn, König von Makedonien, Bundesgenossen der Athener.

Die immer noch um den Peloponnes kreuzenden Athener auf den hundert Schiffen eroberten die korinthische Stadt Sollion und räumten Stadt und Land Akarnaniern, jedoch nur den Palaireern, zum Wohnsitz ein. Astakos, wo Euarchos Tyrann war, nahmen sie mit Sturm, vertrieben den Tyrannen und zwangen die Stadt, dem Athenischen Bunde beizutreten. Darauf fuhren sie nach der Insel Kephallenia, die sich ihnen ohne Schwertstreich ergab. Kephallenia liegt Akarnanien und Leukas gegenüber und besteht aus vier Stadtgemeinden, Paleis, Kranioi, Same und Pronnoi. Bald nachher fuhren die Schiffe nach Athen zurück.

Gegen Ende dieses Sommers fielen die Athener mit ihrem ganzen Heere, Bürger und Schutzverwaudte, unter Perikles, Lanthippos' Sohn, nach Megaris ein. Als die auf ihrer Rück­ fahrt vom Peloponnes grade bei Hgina angelangten Athener auf den hundert Schiffen hörten, daß ganz Athen in Megaris wäre, hielten sie auch dahin ab und vereinigten sich dort mit ihren Landsleuten. Und so wurde dies das größte Heer, welches die Athener noch in ihrer Blütezeit vor Eintritt der Pest auf den Beinen gehabt haben; denn ganz abgesehen von den dreitausend bei Potidäa stellten die Athener selbst mindestens zehntausend Hopliten und ihre Schutzverwandten mindestens dreitausend; dazu kam dann noch die große Menge der Leicht­

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bewaffneten. Nachdem sie einen großen Teil des Landes ver­ heert hatten, zogen sie wieder ab. Auch im weiteren Verlauf des Krieges machten die Athener alljährlich solche Einfälle nach Megaris, entweder bloß mit der Reiterei oder auch mit dem ganzen Heere, bis sie Nisaia genommen hatten.

Gegen Ende dieses Sommers wurde auch die bisher un­ bewohnte Insel Atalanta an der Küste der opuntischen Lokrer von den Athenern besetzt und zur Festung ausgebaut, um räube­ rischen Unternehmungen aus Opus und dem übrigen Lokrien gegen Euboia einen Riegel vorzuschieben. Das waren die Ereignisse dieses Sommers nach dem Abzüge der Peloponnesier aus Attika.

Im folgenden Winter überredete der Akarnanier Euarchos, der sich der Herrschaft in Astakos wieder bemächtigen wollte, die Korinther, ihn mit vierzig Schiffen und fünfzehnhundert Hopliten dahin zurückzuführen, wozu er selbst auch eine Anzahl Söldner geworben hatte. Euphamidas, Aristonymos' Sohn, Timoxenos, Timokrates' Sohn, und Eumachos, Chrysis' Sohn, befehligten den Zug. Sie führten Euarchos auch wirklich nach Astakos zurück und hofften, sich nun auch sonst noch eines oder des anderen Platzes an der akarnanischen Küste bemächtigen zu können, machten dazu auch einige Versuche. Da es ihnen damit jedoch nicht glückte, fuhren sie wieder nach Hause. Als sie aus dem Rückwege an Kephallenia vorbeikamen, landeten sie im Gebiet der Kranier, ließen sich durch deren scheinbare Unter­ werfung täuschen und verloren infolge eines unerwarteten Überfalls der Kranier eine Anzahl Leute. Sie machten des­ halb, was sie konnten, daß sie wieder unter Segel kamen, und fuhren nach Hause.

In diesem Winter wurden in Athen, wie es dort altes Herkommen ist, die im ersten Kriegsjahre Gefallenen von Staats wegen feierlich bestattet, und zwar in folgender Weise: Drei Tage vorher werden die Gebeine der Gefallenen in einem dazu hergerichteten Zelte zur Schau gestellt, und jeder bringt seinem Toten, wie ihm ums Herz ist, eine Gabe dar. Wenn sich der Leichenzug in Bewegung setzt, werden Särge aus

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Zypressen holz zu Wagen hinausgefahren, für jede Phyle ein Sarg, in dem sich die Gebeine aller, die dieser Phyle angehört haben, befinden. Ein leeres, mit Teppichen belegtes Parade­ bett wird mit hinausgetragen für die Vermißten, die man nicht hat auffinden und mitnehmen können. Jeder, wer will, kann sich dem Zuge anschließen. Einheimische und Fremde; auch Frauen nehmen daran teil, um am Grabe ihrer An­ gehörigen zu weinen. Die Beisetzung erfolgt in dem Staats- grabe in der schönsten Vorstadt von Athen, wo die Athener ihre im Kriege gefallenen Toten immer bestattet haben mit alleiniger Ausnahme der bei Marathon Gebliebenen, welche! zu Ehren ihrer unvergleichlichen Tapferkeit auf der Walstatt, selbst beerdigt wurden. Ist das Grab zugeschüttet, so hält, jemand, den man dazu mit Rücksicht auf Befähigung und An-­ se hen von Staats wegen auswählt, eine Rede zu Ehren der Gefallenen, worin er ihre Verdienste gebührend hervorhebt. Darauf geht jeder wieder nach Hause. In dieser Weise ver­ läuft die Feier, und während des ganzen Krieges wurde es, sooft sie stattfand, immer so damit gehalten. Dies erste Mal war Perikles, Xanthippos' Sohn, zum Redner gewählt, und als es so weit war, trat er vom Grabe her auf eine hohe Bühne, die man dort errichtet hatte, damit man ihn in der Menshcen- menge möglichst weit verstehen könnte, und hielt folgende Rede: