History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

„Im Vertrauen auf euch, Lakedämonier, haben wir unsere Stadt übergeben. Wir glaubten bei euch auf ein regelrechtes und kein so formloses Verfahren rechnen zu können, wollten auch niemand als euch, vor denen wir hier tsehen, zu Richten? haben, weil wir von euch am ersten ein gerechtes Urteil er­ warteten. Jetzt aber müssen wir fürchten, uns in beider Hin­ sicht geirrt zu haben. Denn wir haben allen Grund zu ver­ muten, daß kurzer Prozeß mit uns gemacht werden soll, und

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daß wir an euch keine unparteiischen Richter finden werden. Wir schließen das daraus, daß vorher keine Anklage erhoben und uns zur Erklärung mitgeteilt ist - haben wir doch selbst erst ums Wort bitten müssen -, und weil die Frage so kurz ist. Wenn wir diese der Wahrheit gemäß beantworten, so sind wir verloren; sagen wir aber die Unwahrheit, ist der Gegenbeweis leicht geführt. So bleibt uns nichts anderes übrig, als unser Heil wenigstens mit einer Rede zu versuchen. Denn wer in solcher Lage seine Rede für sich behält, wird sich nachher doch sagen lassen müssen: wenn du sie gehalten hättest, wärest du vielleicht glücklich davongekommen. Zu alle­ dem kommt für uns noch die Schwierigkeit, Gehör bei euch zu sinden. Wenn wir einander nicht kennten, so würden wir zu unserer Rechtfertigung vielleicht neue, euch noch unbekannte Beweise beibringen können, so aber vermögen wir nichts an­ zuführen, was euch nicht schon bekannt wäre. Auch fürchten wir nicht sowohl, daß ihr den Stab über uns brecht, weil ihr von vornherein überzeugt seid, unsere Verdienste seien geringer als die euren, als daß ihr uns anderen zu Gefallen vor ein Gericht gestellt habt, welches sein Urteil längst fertig hat.

„Gleichwohl werden wir alles anführen, was wir haben, um unser gutes Recht in den Händeln mit den Thebanern zu beweisen, euch auch an unsere Verdienste um ganz Griechen­ land erinnern und versuchen, euch dadurch günstig zu stimmen. Auf die kurze Frage, was wir im Laufe des Krieges für die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen getan, antworten wir: Fragt ihr uns als Feinde, so dürft ihr euch nicht über uns beklagen, wenn wir nichts für euch getan haben; seht ihr uns aber als Freunde an, so war es grade von euch das größte Unrecht, uns mit Krieg zu überziehet. Im Frieden wie im Perserkriege haben wir uns wacker gehalten. Jetzt haben nicht wir den Frieden zuerst gebrochen, und damals sind wir unter allen Böotiern die einzigen gewesen, welche mit für die Frei­ heit Griechenlands gefochten haben. Obgleich wir nicht an der See wohnen, haben wir doch zu Schiff bei Artemision mitgekämpft, und in der hier in unserem Lande geschlagenen

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Schlacht haben wir auf eurer und Pausanias' Seite gestanden. Wo immer zu jener Zeit den Griechen eine Gefahr drohte, sind wir stets über unsere Kräfte mit dabei gewesen. Und euch, Lakedämonier, insbesondere haben wir damals, als Sparta nach dem Erdbeben von den aufständischen Heloten in Ithome das Schlimmste zu befürchten hatte, ein Drittel unserer Bürger­ schaft zu Hilfe geschickt. Das solltet ihr nicht vergessen.

„So haben wir es in den alten großen Zeiten immer mit euch gehalten. Später erst sind wir Feinde geworden, und zwar durch eure Schuld. Denn damals, als die Thebaner uns vergewaltigen wollten und wir euch um ein Bündnis baten, habt ihr uns abgewiesen und unS geraten, uns an die Athener zu wenden, die wir in der Nähe hätten, während ihr uns zu fern wärt. In diesem Kriege aber haben wir euch doch wahr­ lich nichts zuleide getan und würden das auch weiterhin nicht getan haben. Wenn wir von den Athenern nicht ab­ fallen wollten, wie ihr das verlangtet, so war das kein Unrecht. Denn sie haben uns gegen die Thebaner beigestanden, als ihr uns im Stich ließt, und es wäre nicht schön gewesen, wären wir ihnen untreu geworden. Nachdem sie uns so viel Gutes getan, uns auf unsere Bitten als Bundesgenossen angenommen und uns zum Bürgerrechte zugelassen hatten, war es nur unsere Pflicht und Schuldigkeit, ihren Befehlen bereitwillig nachzu­ kommen. Wenn ihr beide euren Bundesgenossen etwas be­ fehlt, was nicht recht ist, und sie gehorchen, so tun sie das nicht auf ihre, sondern auf eure Verantwortung, weil sie euren Willen tun müssen.

„Die Thebaner aber haben schon oft falschen Streit mit uns angefangen; ihr letzter Gewaltstreich ist euch zur Genüge bekannt; ist er doch die Ursache unseres jetzigen Unglücks. Als sie unsere Stadt in tiefem Frieden, noch dazu am heiligen Festtage, überfallen hatten, haben wir sie dafür bestraft mit dem guten Rechte, wonach es in der ganzen Welt erlaubt ist, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, und eS wäre unverantwort­ lich, uns dafür jetzt ein Haar krümmen zu wollen. Wenn ihr um eures und ihres augenblicklichen Vorteils willen dem Rechte

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eine Nase dreht, so beweist ihr damit, daß es euch hier in Wahrheit nicht um einen gerechten Richterspruch, sondern lediglich um euren Vorteil zu tun ist. Glaubt ihr wirklich, daß die Thebaner euch gegenwärtig nützlich sind, so sind wir und die anderen Griechen das damals erst recht gewesen, als ihr in weit größerer Gefahr wart. Jetzt seid ihr allen anderen mit euren Streitkräfteu überlegen. Damals aber war der Perserkönig drauf und dran, ganz Griechenland zu unterjochen, und damals hielten sie es mit ihm. Und hatten wir auch in der Tat jetzt ein Unrecht begangen, so wäre es nur billig, demgegenüber unsere damalige Opferwilligkeit in Rechnung zu bringen, wobei sich dann doch ein Guthaben zu unseren Gunsten herausstellen würde, zumal wenn ihr in Betracht zieht, wie es zu jener Zeit in Griechenland nicht allzu viele gab, welche den Mut hatten, sich der Macht des Xerxes zu wider- setzen, und wie alle die gepriesen wurden, welche ihr Heil nicht in der Unterwerfung unter den Feind gesucht, sondern furchtlos Leib und Leben gewagt hatten. Und zu denen ge­ hörten wir und sind dafür damals aufs höchste geehrt worden; jetzt aber müssen wir fürchten, daß man uns den Kopf vor die Füße legt, grade weit wir noch die alten sind und lieber den Athenern treu bleiben als um unseres Vorteils willen mit euch gehen wollten. Und doch solltet ihr uns die Gesinnung, die ihr früher so hoch geschätzt, jetzt nicht zum Verbrechen machen und einsehen, daß es auch für euch das beste wäre, wenn sich euer augenblicklicher Vorteil mit dauernder Dankbar­ keit gegen die tapferen alten Freunde vereinigen ließe.

„Jetzt, und auch das solltet ihr bedenken, geltet ihr in Griechenland allgemein als Muster rechtschaffener Gesinnung. Wenn ihr aber gegen uns ein schnödes Urteil sprecht - und bei eurem Ansehen und dem guten Ruf, den auch wir ge­ nießen, wird dieser Prozeß von sich reden machen so sollt ihr die Entrüstung erleben, daß gegen ein tapferes, wenn auch euch nicht gewachsenes Volk solch ein Justizmord verübt und die uns, den Wohltätern Griechenlands, abgenommene Beute in den vaterländischen Heiligtümern aufgestellt werden konnte.

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Ein entsetzlicher Gedanke, daß Platää von Lakedämoniern zer­ stört würde, daß eure Väter den Namen dieser Stadt zu Ehren ihrer Tapferkeit auf dem Dreifuß in Delphi angebracht haben, und daß ihr sie jetzt den Thebanern zuliebe in Griechenland von der Bildfläche vertilgtet. Denn so weit ist es bereits mit uns gekommen. Damals, als die Perser im Lande schalteten, haben sie unsere Stadt zerstört, und jetzt werden wir von euch, unsern alten Freunden, den Thebanern geopfert. Schon zum zweitenmal sehen wir dem Tode ins Angesicht; eben erst waren wir in Gefahr, Hungers zu sterben, wenn wir die Stadt nicht übergaben, und jetzt stehen wir vor diesem Blutgerichte. Wir Platäer, die wir für die Griechen über unsere Kräfte Gut und Blut eingesetzt haben, sind heute verstoßen von aller Welt, verlassen und vogelfrei. Unter unseren damaligen Bundes­ genossen ist nicht einer, der sich unser annimmt; und auch ihr Lakedämonier, unsere einzige Hoffnung, fürchten wir, werdet uns im Stich lassen.

„Und doch, bei den Göttern unseres alten Bundes und um unserer Verdienste um die Griechen willen fordern wir euch auf, lenkt ein und laßt euch erweichen, und wenn ihr wirklich den Thebanern schon etwas versprochen habt, so ver­ langt nun eurerseits von ihnen, daß sie euch freiwillig der Verpflichtung entbinden, eure Wohltäter zu töten, um Dank zu ernten, der euch Ehre und nicht Schande macht, und euren guten Namen nicht anderen zu Gefallen zu verscherzen. Wollt ihr uns das Leben nehmen, so ist das freilich bald getan, aber unser Blut wird euch lange an den Händen kleben. Denn wir sind keine Feinde, die ihr mit gutem Gewissen töten dürftet, sondern eure Freunde und haben nur notgedrungen zu den Waffen gegriffen. Darum wäre es eure heilige Richter- pflicht, uns das Leben zu lassen und nicht zu vergessen, daß wir uns freiwillig ergeben haben und als Schutzflehende zu euch kommen, die man nach griechischem Recht nicht töten darf, und euch zudem allezeit Freundesdienste erwiesen haben. Seht hier die Gräber eurer Väter, die im Perserkriege in unserem Lande gefallen und begraben sind. Iahrein, jahraus haben

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wir sie mit Kleidern und allem, was sonst Sitte ist, von Staats wegen geehrt und ihnen die Erstlinge von den Früchten unseres Landes dargebracht, weil wir ihnen als alten Waffen­ brüdern und Söhnen eines befreundeten Landes ein liebevolles Andenken bewahrten. Und ihr wolltet statt dessen solch ein ungerechtes Urteil gegen uns fällen! Pausanias hat sie ja doch bei uns in der Voraussetzuug bestattet, daß sie hier in Freundesland und unter Freunden ruhen würden. Wolltet ihr unS nun töten und unser Land thebanisch machen, würdet ihr dann nicht eure Väter und Angehörigen in Feindesland und unter ihren Mördern lassen und ihnen die Ehren entziehen, welche sie gegenwärtig genießen? Dazu knechtet ihr ein Land, in dem die Freiheit der Griechen begründet wurde, verödet die Tempel der Götter, mit deren Beistand sie die Perser be­ siegt haben, und beraubt deren Gründer und Erbauer der alt­ hergebrachten Opfer.

„Es würde euch keine Ehre machen, Lakedämonier, wolltet ihr euch an Recht und Sitte der Griechen und an euern Vor­ sahren so versündigen, eure unschuldigen alten Freunde fremdem Hasse aufzuopfern. Darum erweicht euren harten Sinn, habt Mitleid mit uns und laßt uns leben. Bedenkt, wie schrecklich und unverdient unser Los sein würde, und wie unberechenbar das Unglück auch den Besten treffen kann. Wir bitten euch, wie es uns geziemt und die Not gebeut, der Eide eingedenk zu sein, welche' eure Väter uns geschworen haben, und flehen zu den von allen Griechen auf gemeinschaftlichen Altären ver­ ehrten Göttern, daß es uns gelingen möge, euer Herz zu rühren. Als Schutzflehende an den Gräbern eurer Väter rufen wir die Toten an, uns nicht unter die Thebaner kommen zu lassen und uns, ihre besten Freunde, nicht ihren ärgsten Feinden preiszugeben, erinnern sie auch heute in unserer Todesnot an den Tag, wo wir mit ihnen die herrlichsten Taten vollbracht haben.

„Nun aber müssen wir schließen, so schwer uns das insunserer Lage wird; denn damit tritt der Tod hart an uns heran. Zum Schluß aber erklären wir nochmals, daß wir die Stadt

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nicht den Thebanern übergeben - lieber wären wir Hungers gestorben sondern uns vertrauensvoll an euch gewandt haben. Wenn ihr uns also nicht erhört, so ist es eure Pflicht, uns wieder in den vorigen Stand zu setzen und uns wenigstens die Wahl zu lassen, welches Todes wir sterben wollen. Damit beschwören wir euch, uns Platäer, die wir so heldenmütig für Griechenland gekämpft haben und euch jetzt im Vertrauen aus euch, Lakedämonier, um euren Beistand anflehen, nicht unseren bittersten Feinden, den Thebanern, auszuliefern. Nehmt uns in euren Schutz und verschmäht es, die ihr euch rühmt, die Befreier Griechenlands zu sein, unsere Henker zu werden."

So die Platäer. Nun aber traten die The baner, welche besorgten, die Rede könnte auf die Lakedämonier denn doch einen Eindruck gemacht haben, ebenfalls vor und verlangten auch ihrerseits das Wort, da man wider Erwarten die Platäer weit länger habe reden lassen, als zur Beantwortung der Frage nötig gewesen wäre. Nachdem auch ihnen das Wort erteilt war, hielten sie folgende Rede:

„Wir würden nicht ums Wort gebeten haben, wenn auch sie die Frage kurz beantwortet hätten, statt sich in Anklagen gegen uns zu ergehen und über Dinge, die nicht hierher ge­ hören und ihnen gar nicht vorgeworfen sind, so viel Worte zur Entschuldigung zu machen und sich mit Verdiensten zu brüsten, die ihnen niemand abgesprochen hat. So aber sind wir genötigt, ihnen nicht nur darin zu widersprechen, sondern sie uns auch hierin mal näher anzusehen. Denn weder unsere Sünden noch ihre Heldentaten dürfen ihnen zugute kommen, sondern ihr sollt in beider Hinsicht die Wahrheit hören, bevor ihr entscheidet. Nachdem wir ganz Böotien in Besitz genommen und darauf auch Platää und noch einige andere Orte, aus denen wir allerlei Volk vertrieben, gegründet hatten, gerieten wir mit ihnen zuerst aneinander, als sie sich der uns ursprünglich zugestandenen Hegemonie entziehen und auS dem Böotischen Bunde ausscheiden wollten, dann aber, als Gewalt gegen sie angewandt werden sollte, zu den Athenern [*]( I )

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übergingen. Mit denen haben sie uns oft genug Schaden ge-­ tan, dafür dann freilich auch gelegentlich selbst wieder büßen müssen.

„Nun sagen sie, nach dem Einfall der Perser in Griechen­ land seien sie die einzigen Böotier gewesen, die es nicht mit ihnen gehalten, tun sich, darauf gewaltig viel zugute und wollen uns damit schlecht machen. Gewiß, mit den Persern haben sie es nicht gehalten, aber doch nur eben deshalb nicht, weil es die Athener nicht taten, und so sind sie denn auch, als diese nachmals ebenso mit den Griechen umsprangen, die einzigen Böotier gewesen, die es mit den Athenern hielten. Nun müßt ihr aber doch die Zustände berücksichtigen, unter denen wir beide damals handelten. Bei uns bestand zu der Zeit weder eine Oligarchie mit Rechtsgleichheit sIsonomie) noch eine Demo­ kratie, überhaupt nichts weniger als eine ordentliche Ver­ fassung, sondern eine Art von Tyrannis, ein Willkürregiment weniger Männer, und diese haben damals, weil sie von einem Siege der Perser die Befestigung ihrer Machtstellung hofften, die Bevölkerung gewaltsam niedergehalten und die Perser ins Land gerufen. Es geschah das also zu einer Zeit, wo die Stadt nicht ihr eigener Herr war, und was hier in jener gesetzlosen Zeit gesündigt worden ist, kann ihr nicht zur Last gelegt werden. Man muß vielmehr die spätere Zeit, wo die Perser abgezogen und wieder gesetzliche Zustände eingetreten waren, in Betracht ziehen, als die Athener über Griechenland herfielen und auch unser Land zu unterwerfen versuchten und es infolge der bei uns herrschenden Parteikämpfe wirklich großen­ teils schon unterworfen hatten. Damals haben wir sie bei Koroneia besiegt und Böotien befreit, wie wir auch jetzt wieder unser Bestes tun, um die übrigen befreien zu helfen, und dazu Roß und Reisige stellen wie sonst keiner der Bundesgenossen. So viel zur Rechtfertigung gegen den Vorwurf, daß wir es mit den Persern gehalten.

„Nunmehr wollen wir zu beweisen suchen, daß ihr Platäer euch an den Griechen weit schlimmer vergangen und jede Strafe reichlicher verdient habt als wir. Um Schutz vor uns

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zu haben, sagt ihr, habt ihr das Bündnis mit den Athenern geschlossen und euch athenisches Bürgerrecht erteilen lassen. Da hättet ihr sie ja nur gegen uns zu Hilfe nehmen sollen und nicht mit ihnen über andere herzufallen brauchen, wie ihr das sehr wohl gekonnt hättet, auch wenn euch die Athener dazu hätten zwingen wollen, da ja schon vom Perserkriege her das Bündnis mit den Lakedämoniern hier bestand, das ihr beständig im Munde führt. Denn dieses gewährte euch nicht nur Schutz gegen uns, sondern auch grade darin volle Freiheit der Ent­ schließung. Nein, freiwillig, nicht weil ihr mußtet, seid ihr mit den Athenern gegangen. Nun sagt ihr, es wäre nicht schön gewesen, euren Wohltätern untreu zu werden. Noch weniger schön und weit unrechter war es, allen euren griechi­ schen Eidgenossen die Treue zu brechen, als bloß den Athenern, die Griechenland knechten, während jene es befreien wollen. Auch reimt sich eure Dankbarkeit mit der euch erwiesenen Wohltat nicht und macht euch keine Ehre. Denn ihr habt sie, wie ihr sagt, zu Hilfe gerufen, weil man euch unrecht tat, ihnen aber geholfen, anderen unrecht zu tun. Gewiß, es ge­ hört sich, Wohltaten, die uns redlich erwiesen werden, in gleicher Weise dankbar zu erwidern, aber doch nur, soweit man das kann, ohne fremdes Unrecht zu befördern.

„Und damit habt ihr bewiesen, daß ihr es auch damals nicht den Griechen zuliebe allein nicht mit den Persern gehalten habt, sondern nur, weil die Athener es auch nicht taten. Ihr wolltet es eben nur so machen wie sie und nicht wie die übrigen. Und nun verlangt ihr, für das, was ihr anderen zuliebe getan habt, von uns hier belohnt zu werden. Aber das gilt nicht. Seid ihr zu den Athenern übergegangen, so seht jetzt zu, wie ihr mit ihnen durchkommt, und beruft euch nicht immer auf das alte Bündnis, als müsse euch das jetzt zugute kommen. Denn dem seid ihr längst untreu geworden und habt euch darüber hinweggesetzt, indem ihr die Hgineten und andere alte Bundesgenossen unterjochen halft, statt ihnen beizustehen, und das aus freien Stücken bei Verfassungszuständen, wie sie noch jetzt bei euch bestehen, und nicht etwa aus Zwang, wie

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es bei uns der Fall war. Auch den letzten Vorschlag vor Be­ ginn der Belagerung, wenigstens neutral zu bleiben, habt ihr nicht angenommen. Wen also könnten die Griechen wohl mit besserem Rechte hassen als euch, die ihr eure Tapferkeit immer nur zu ihrem Verderben zur Schau getragen habt? Und wenn ihr euch, wie ihr sagt, früher gut gemacht habt, so hat sich jetzt herausgestellt, daß das eitel Spiegelfechterei war, und es ist an den Tag gekommen, wohin euch der Sinn in Wahrheit immer gestanden hat; denn ihr seid mit den Athenern auf bösen Wegen gewandelt. So viel über unser erzwungenes Bündnis mit den Persern und euer freiwilliges Beknien der Athener.

„Was aber den letzten Vorwurf betrifft, wir hätten eure Stadt mitten im Frieden und noch dazu im Feste widerrecht­ lich überfallen, so glauben wir auch in dieser Hinsicht nicht schuldiger zu sein als ihr. Haben wir von selbst uns eurer Stadt mit Waffengewalt bemächtigt und euer Land als Feinde verheert, ja, dann sind wir im Unrecht. Haben uns aber eure reichsten und vornehmsten Bürger selbst gerufen, um euch von dem auswärtigen Bündnisse zu befreien und den Wieder- anschluß an den alten Böotischen Bund herbeizuführen, was ist da unser Unrecht? Der Anstifter ist schuldiger als der Täter. Nach unserer Ansicht aber trifft sie so wenig eine Schuld wie uns. Sie waren Bürger so gut wie ihr und hatten mehr zu verlieren als andere, als sie uns ihre Stadt öffneten. Als Freunde, nicht als Feinde haben sie uns eingelassen, damit die Schlechten unter euch nicht noch schlechter würden und die Guten zu ihrem Recht kämen. Sie wollten euch nur für die gute Sache gewinnen, die Stadt um keinen Bürger ärmer machen, sondern sie der alten Stammesgemeinschaft wieder einfügen, euch mit niemand verfeinden, sondern mit allen in Frieden leben lassen.

„Daß wir nicht als Feinde kamen, ergibt sich schon daraus, daß wir niemand was zuleide taten, sondern alle guten Böotier, die für den alten Bund wären, öffentlich auffordern ließen, sich uns anzuschließen. Auch kamt ihr uns ja anfangs ganz

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freundlich entgegen, gingt einen Vergleich mit uns ein utld hieltet euch ruhig. Erst nahcher, als ihr merktet, wie wenige wir waren, euch wohl auch daran stießet, daß wir nicht mit Wissen und Willen der Bürgerschaft gekommen waren, habt ihr dann nicht Wort gehalten und uns trotz der Zusage, keine Gewalt zu brauchen, statt uns in Güte zum Abzüge zu be­ wegen, dem Vergleich zuwider angegriffen. Daß ihr dabei eine Anzahl mit den Waffen in der Hand getötet habt, können wir allenfalls verschmerzen; denn das geschah gewissermaßen nach Kriegsrecht; daß ihr aber auch die Gefangenen, die sich in euren Schutz begeben hatten, trotz des Versprechens, niemand weiter zu töten, widerrechtlich ums Leben gebracht habt, das war heillos. Damit habt ihr euch im Umsehen dreimal schwer vergangen, den Vergleich gebrochen, die Gefangenen nachher getötet und uns mit dem Versprechen belogen, ihr würdet sie nicht töten, wenn wir euch draußen in Ruhe ließen. Trotzdem behauptet ihr, wir wären die Schuldigen, und verlangt selbst straflos auszugehen. Nichts da, wenn anders dies gerechte Richter sind. Für alles das werdet ihr eurer Strafe nicht entgehen.

„Auf diese Dinge, Lakedämonier, sind wir sowohl euret­ wegen als unseretwegen so weit eingegangen, um euch zu über­ zeugen, daß ihr sie mit Recht verurteilen könnt, und um uns vollends von der Pflichtmäßigkeit unserer Rache zu durch- dringen. Laßt euch nicht rühren durch alte Tugenden, die sie im Munde führen und immerhin gehabt haben mögen. Darauf mag der unschuldig Leidende sich berufen, den Nichtswürdigen machen sie nur doppelt strafbar; denn er frevelt dann gegen sein besseres Selbst. Auch ihr Ach und Weh darf ihnen nichts nützen, nicht ihr Jammer über die Gräber eurer Väter und ihre Verlassenheit. Können doch auch wir demgegenüber auf das noch traurigere Los unserer Jugend hinweisen, die unter ihren Streichen bluten mußte. Das waren die Söhne der Väter, die, um euch Böotien zu gewinnen, bei Koroneia fielen oder jetzt alt und verlassen im leeren Hause euch mit größerem Recht um Rache bei den Platäern anstehen. Unverschuldetes

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Mißgeschick ist bedauernswert, trifft es aber den Übeltäter, der es nicht besser verdient, wie sie hier, so kann man sich nur darüber freuen. Auch ihre jetzige Verlassenheit haben sie nur sich selbst zuzuschreiben, denn ihre besten Bundesgenossen haben sie verschmäht. Gegen uns, die wir ihnen nichts zuleide getan hatten, haben sie sich schändlich vergangen, sich über das Recht hinweggesetzt und nur von ihrem Haß leiten lassen, dem ihre Strafe jetzt nicht mal entsprechen wird; denn ihnen wird nur ihr Recht werden, da sie nicht, wie sie sagen, als Schutz­ flehende die Waffen gestreckt, sondern sich bei Übergabe der Stadt freiwillig eurem Richterspruch unterworfen haben. Nun also, Lakedämonier, bringt das Recht der Hellenen, das sie mit Füßen getreten haben, wieder zu Ehren und verschafft uns für das uns angetane Unrecht die Genugtuung, welche wir durch unseren Eifer um die gute Sache verdient haben. Laßt euch durch ihr Gerede nicht an uns irremachen und gebt den Griechen ein Beispiel, daß es bei euch nicht auf Worte, sondern auf Taten ankommt. Sind die danach, so bedarf eS nicht vieler Worte; hapert es aber da, so muß man sich hinter Phrasen verstecken und zu Redekünsten seine Zuflucht nehmen. Wenn ihr aber als Vormacht des Bundes immer so kurz und bündig verfahrt wie diesmal, so wird sich so leicht niemand wieder gemüßigt sehen, sein Unrecht durch lange Reden zu beschönigen."

So die Thebaner. Die Lakedämonier aber glaubten als Richter die Frage, was sie im Laufe des Krieges für sie ge­ tan, sachgemäß gestellt zu haben. Denn da sie schon vorher ihre Aufforderung, sich im Sinne des alten, nach dem Perser­ kriege mit Pausanias geschlossenen Bündnisses stillzuhalten, und dann auch den ihnen vor Beginn der Belagerung ge­ machten Vorschlag, neutral zu bleiben, zurückgewiesen hatten, so waren sie ihrer Ansicht nach durch die Ablehnung dieses be­ rechtigten Verlangens bereits bundbrüchig und ihre Feinde ge­ worden. Sie ließen sie also nochmals einzeln vortreten und ihnen die Frage vorlegen, ob sie im Laufe des Krieges etwas für die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen getan hätten,

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und wenn sie die verneinten, abführen und hinrichten, und zwar alle bis auf den letzten Mann. Im ganzen töteten sie mehr als zweihundert Platäer und die fünfundzwanzig Athener, welche die Belagerung mitausgehalten hatten, die Weiber aber verkauften sie in die Sklaverei. Die Stadt überließen die Thebaner ein Jahr lang den bei einem Aufruhr aus ihrer Heimat vertriebenen Megarern und ihren noch übriggebliebenen alten Anhängern aus Platää. Später aber zerstörten sie die Stadt von Grund aus und bauten neben dem Heratempel eine i Herberge von zweihundert Fuß Länge, oben und unten ringsum ^ mit Zimmern darin, zu der sie Dachsparren und Türflügel aus Platää verwandten. Aus dem, was es sonst an Hausgerät, Erz und Eisen in der Stadt gab, machten sie Ruhebetten und weihten sie der Hera, der sie einen steinernen Tempel von hundert Fuß Länge erbauten. Das Land machten sie zu Staats- eigentum und verpachteten es auf zehn Jahre für Rechnung der Thebaner. Wie denn die Lakedämonier überhaupt, wohl, um den Thebanern zu gefallen, so hart gegen die Platäer ge­ wesen waren, weil sie auf deren Freundschaft damals, wo der Krieg im vollen Gange war, großen Wert legten. So endete Platää, im dreiundneunzigsten Jahre, nachdem es dem Athe­ nischen Bunde beigetreten war.