History of the Peloponnesian War
Thucydides
Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.
„Im Vertrauen auf euch, Lakedämonier, haben wir unsere Stadt übergeben. Wir glaubten bei euch auf ein regelrechtes und kein so formloses Verfahren rechnen zu können, wollten auch niemand als euch, vor denen wir hier tsehen, zu Richten? haben, weil wir von euch am ersten ein gerechtes Urteil er warteten. Jetzt aber müssen wir fürchten, uns in beider Hin sicht geirrt zu haben. Denn wir haben allen Grund zu ver muten, daß kurzer Prozeß mit uns gemacht werden soll, und
„Gleichwohl werden wir alles anführen, was wir haben, um unser gutes Recht in den Händeln mit den Thebanern zu beweisen, euch auch an unsere Verdienste um ganz Griechen land erinnern und versuchen, euch dadurch günstig zu stimmen. Auf die kurze Frage, was wir im Laufe des Krieges für die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen getan, antworten wir: Fragt ihr uns als Feinde, so dürft ihr euch nicht über uns beklagen, wenn wir nichts für euch getan haben; seht ihr uns aber als Freunde an, so war es grade von euch das größte Unrecht, uns mit Krieg zu überziehet. Im Frieden wie im Perserkriege haben wir uns wacker gehalten. Jetzt haben nicht wir den Frieden zuerst gebrochen, und damals sind wir unter allen Böotiern die einzigen gewesen, welche mit für die Frei heit Griechenlands gefochten haben. Obgleich wir nicht an der See wohnen, haben wir doch zu Schiff bei Artemision mitgekämpft, und in der hier in unserem Lande geschlagenen
„So haben wir es in den alten großen Zeiten immer mit euch gehalten. Später erst sind wir Feinde geworden, und zwar durch eure Schuld. Denn damals, als die Thebaner uns vergewaltigen wollten und wir euch um ein Bündnis baten, habt ihr uns abgewiesen und unS geraten, uns an die Athener zu wenden, die wir in der Nähe hätten, während ihr uns zu fern wärt. In diesem Kriege aber haben wir euch doch wahr lich nichts zuleide getan und würden das auch weiterhin nicht getan haben. Wenn wir von den Athenern nicht ab fallen wollten, wie ihr das verlangtet, so war das kein Unrecht. Denn sie haben uns gegen die Thebaner beigestanden, als ihr uns im Stich ließt, und es wäre nicht schön gewesen, wären wir ihnen untreu geworden. Nachdem sie uns so viel Gutes getan, uns auf unsere Bitten als Bundesgenossen angenommen und uns zum Bürgerrechte zugelassen hatten, war es nur unsere Pflicht und Schuldigkeit, ihren Befehlen bereitwillig nachzu kommen. Wenn ihr beide euren Bundesgenossen etwas be fehlt, was nicht recht ist, und sie gehorchen, so tun sie das nicht auf ihre, sondern auf eure Verantwortung, weil sie euren Willen tun müssen.
„Die Thebaner aber haben schon oft falschen Streit mit uns angefangen; ihr letzter Gewaltstreich ist euch zur Genüge bekannt; ist er doch die Ursache unseres jetzigen Unglücks. Als sie unsere Stadt in tiefem Frieden, noch dazu am heiligen Festtage, überfallen hatten, haben wir sie dafür bestraft mit dem guten Rechte, wonach es in der ganzen Welt erlaubt ist, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, und eS wäre unverantwort lich, uns dafür jetzt ein Haar krümmen zu wollen. Wenn ihr um eures und ihres augenblicklichen Vorteils willen dem Rechte
„Jetzt, und auch das solltet ihr bedenken, geltet ihr in Griechenland allgemein als Muster rechtschaffener Gesinnung. Wenn ihr aber gegen uns ein schnödes Urteil sprecht - und bei eurem Ansehen und dem guten Ruf, den auch wir ge nießen, wird dieser Prozeß von sich reden machen so sollt ihr die Entrüstung erleben, daß gegen ein tapferes, wenn auch euch nicht gewachsenes Volk solch ein Justizmord verübt und die uns, den Wohltätern Griechenlands, abgenommene Beute in den vaterländischen Heiligtümern aufgestellt werden konnte.
„Und doch, bei den Göttern unseres alten Bundes und um unserer Verdienste um die Griechen willen fordern wir euch auf, lenkt ein und laßt euch erweichen, und wenn ihr wirklich den Thebanern schon etwas versprochen habt, so ver langt nun eurerseits von ihnen, daß sie euch freiwillig der Verpflichtung entbinden, eure Wohltäter zu töten, um Dank zu ernten, der euch Ehre und nicht Schande macht, und euren guten Namen nicht anderen zu Gefallen zu verscherzen. Wollt ihr uns das Leben nehmen, so ist das freilich bald getan, aber unser Blut wird euch lange an den Händen kleben. Denn wir sind keine Feinde, die ihr mit gutem Gewissen töten dürftet, sondern eure Freunde und haben nur notgedrungen zu den Waffen gegriffen. Darum wäre es eure heilige Richter- pflicht, uns das Leben zu lassen und nicht zu vergessen, daß wir uns freiwillig ergeben haben und als Schutzflehende zu euch kommen, die man nach griechischem Recht nicht töten darf, und euch zudem allezeit Freundesdienste erwiesen haben. Seht hier die Gräber eurer Väter, die im Perserkriege in unserem Lande gefallen und begraben sind. Iahrein, jahraus haben
„Es würde euch keine Ehre machen, Lakedämonier, wolltet ihr euch an Recht und Sitte der Griechen und an euern Vor sahren so versündigen, eure unschuldigen alten Freunde fremdem Hasse aufzuopfern. Darum erweicht euren harten Sinn, habt Mitleid mit uns und laßt uns leben. Bedenkt, wie schrecklich und unverdient unser Los sein würde, und wie unberechenbar das Unglück auch den Besten treffen kann. Wir bitten euch, wie es uns geziemt und die Not gebeut, der Eide eingedenk zu sein, welche' eure Väter uns geschworen haben, und flehen zu den von allen Griechen auf gemeinschaftlichen Altären ver ehrten Göttern, daß es uns gelingen möge, euer Herz zu rühren. Als Schutzflehende an den Gräbern eurer Väter rufen wir die Toten an, uns nicht unter die Thebaner kommen zu lassen und uns, ihre besten Freunde, nicht ihren ärgsten Feinden preiszugeben, erinnern sie auch heute in unserer Todesnot an den Tag, wo wir mit ihnen die herrlichsten Taten vollbracht haben.
„Nun aber müssen wir schließen, so schwer uns das insunserer Lage wird; denn damit tritt der Tod hart an uns heran. Zum Schluß aber erklären wir nochmals, daß wir die Stadt
So die Platäer. Nun aber traten die The baner, welche besorgten, die Rede könnte auf die Lakedämonier denn doch einen Eindruck gemacht haben, ebenfalls vor und verlangten auch ihrerseits das Wort, da man wider Erwarten die Platäer weit länger habe reden lassen, als zur Beantwortung der Frage nötig gewesen wäre. Nachdem auch ihnen das Wort erteilt war, hielten sie folgende Rede:
„Wir würden nicht ums Wort gebeten haben, wenn auch sie die Frage kurz beantwortet hätten, statt sich in Anklagen gegen uns zu ergehen und über Dinge, die nicht hierher ge hören und ihnen gar nicht vorgeworfen sind, so viel Worte zur Entschuldigung zu machen und sich mit Verdiensten zu brüsten, die ihnen niemand abgesprochen hat. So aber sind wir genötigt, ihnen nicht nur darin zu widersprechen, sondern sie uns auch hierin mal näher anzusehen. Denn weder unsere Sünden noch ihre Heldentaten dürfen ihnen zugute kommen, sondern ihr sollt in beider Hinsicht die Wahrheit hören, bevor ihr entscheidet. Nachdem wir ganz Böotien in Besitz genommen und darauf auch Platää und noch einige andere Orte, aus denen wir allerlei Volk vertrieben, gegründet hatten, gerieten wir mit ihnen zuerst aneinander, als sie sich der uns ursprünglich zugestandenen Hegemonie entziehen und auS dem Böotischen Bunde ausscheiden wollten, dann aber, als Gewalt gegen sie angewandt werden sollte, zu den Athenern [*]( I )
„Nun sagen sie, nach dem Einfall der Perser in Griechen land seien sie die einzigen Böotier gewesen, die es nicht mit ihnen gehalten, tun sich, darauf gewaltig viel zugute und wollen uns damit schlecht machen. Gewiß, mit den Persern haben sie es nicht gehalten, aber doch nur eben deshalb nicht, weil es die Athener nicht taten, und so sind sie denn auch, als diese nachmals ebenso mit den Griechen umsprangen, die einzigen Böotier gewesen, die es mit den Athenern hielten. Nun müßt ihr aber doch die Zustände berücksichtigen, unter denen wir beide damals handelten. Bei uns bestand zu der Zeit weder eine Oligarchie mit Rechtsgleichheit sIsonomie) noch eine Demo kratie, überhaupt nichts weniger als eine ordentliche Ver fassung, sondern eine Art von Tyrannis, ein Willkürregiment weniger Männer, und diese haben damals, weil sie von einem Siege der Perser die Befestigung ihrer Machtstellung hofften, die Bevölkerung gewaltsam niedergehalten und die Perser ins Land gerufen. Es geschah das also zu einer Zeit, wo die Stadt nicht ihr eigener Herr war, und was hier in jener gesetzlosen Zeit gesündigt worden ist, kann ihr nicht zur Last gelegt werden. Man muß vielmehr die spätere Zeit, wo die Perser abgezogen und wieder gesetzliche Zustände eingetreten waren, in Betracht ziehen, als die Athener über Griechenland herfielen und auch unser Land zu unterwerfen versuchten und es infolge der bei uns herrschenden Parteikämpfe wirklich großen teils schon unterworfen hatten. Damals haben wir sie bei Koroneia besiegt und Böotien befreit, wie wir auch jetzt wieder unser Bestes tun, um die übrigen befreien zu helfen, und dazu Roß und Reisige stellen wie sonst keiner der Bundesgenossen. So viel zur Rechtfertigung gegen den Vorwurf, daß wir es mit den Persern gehalten.
„Nunmehr wollen wir zu beweisen suchen, daß ihr Platäer euch an den Griechen weit schlimmer vergangen und jede Strafe reichlicher verdient habt als wir. Um Schutz vor uns
„Und damit habt ihr bewiesen, daß ihr es auch damals nicht den Griechen zuliebe allein nicht mit den Persern gehalten habt, sondern nur, weil die Athener es auch nicht taten. Ihr wolltet es eben nur so machen wie sie und nicht wie die übrigen. Und nun verlangt ihr, für das, was ihr anderen zuliebe getan habt, von uns hier belohnt zu werden. Aber das gilt nicht. Seid ihr zu den Athenern übergegangen, so seht jetzt zu, wie ihr mit ihnen durchkommt, und beruft euch nicht immer auf das alte Bündnis, als müsse euch das jetzt zugute kommen. Denn dem seid ihr längst untreu geworden und habt euch darüber hinweggesetzt, indem ihr die Hgineten und andere alte Bundesgenossen unterjochen halft, statt ihnen beizustehen, und das aus freien Stücken bei Verfassungszuständen, wie sie noch jetzt bei euch bestehen, und nicht etwa aus Zwang, wie
„Was aber den letzten Vorwurf betrifft, wir hätten eure Stadt mitten im Frieden und noch dazu im Feste widerrecht lich überfallen, so glauben wir auch in dieser Hinsicht nicht schuldiger zu sein als ihr. Haben wir von selbst uns eurer Stadt mit Waffengewalt bemächtigt und euer Land als Feinde verheert, ja, dann sind wir im Unrecht. Haben uns aber eure reichsten und vornehmsten Bürger selbst gerufen, um euch von dem auswärtigen Bündnisse zu befreien und den Wieder- anschluß an den alten Böotischen Bund herbeizuführen, was ist da unser Unrecht? Der Anstifter ist schuldiger als der Täter. Nach unserer Ansicht aber trifft sie so wenig eine Schuld wie uns. Sie waren Bürger so gut wie ihr und hatten mehr zu verlieren als andere, als sie uns ihre Stadt öffneten. Als Freunde, nicht als Feinde haben sie uns eingelassen, damit die Schlechten unter euch nicht noch schlechter würden und die Guten zu ihrem Recht kämen. Sie wollten euch nur für die gute Sache gewinnen, die Stadt um keinen Bürger ärmer machen, sondern sie der alten Stammesgemeinschaft wieder einfügen, euch mit niemand verfeinden, sondern mit allen in Frieden leben lassen.
„Daß wir nicht als Feinde kamen, ergibt sich schon daraus, daß wir niemand was zuleide taten, sondern alle guten Böotier, die für den alten Bund wären, öffentlich auffordern ließen, sich uns anzuschließen. Auch kamt ihr uns ja anfangs ganz
„Auf diese Dinge, Lakedämonier, sind wir sowohl euret wegen als unseretwegen so weit eingegangen, um euch zu über zeugen, daß ihr sie mit Recht verurteilen könnt, und um uns vollends von der Pflichtmäßigkeit unserer Rache zu durch- dringen. Laßt euch nicht rühren durch alte Tugenden, die sie im Munde führen und immerhin gehabt haben mögen. Darauf mag der unschuldig Leidende sich berufen, den Nichtswürdigen machen sie nur doppelt strafbar; denn er frevelt dann gegen sein besseres Selbst. Auch ihr Ach und Weh darf ihnen nichts nützen, nicht ihr Jammer über die Gräber eurer Väter und ihre Verlassenheit. Können doch auch wir demgegenüber auf das noch traurigere Los unserer Jugend hinweisen, die unter ihren Streichen bluten mußte. Das waren die Söhne der Väter, die, um euch Böotien zu gewinnen, bei Koroneia fielen oder jetzt alt und verlassen im leeren Hause euch mit größerem Recht um Rache bei den Platäern anstehen. Unverschuldetes
So die Thebaner. Die Lakedämonier aber glaubten als Richter die Frage, was sie im Laufe des Krieges für sie ge tan, sachgemäß gestellt zu haben. Denn da sie schon vorher ihre Aufforderung, sich im Sinne des alten, nach dem Perser kriege mit Pausanias geschlossenen Bündnisses stillzuhalten, und dann auch den ihnen vor Beginn der Belagerung ge machten Vorschlag, neutral zu bleiben, zurückgewiesen hatten, so waren sie ihrer Ansicht nach durch die Ablehnung dieses be rechtigten Verlangens bereits bundbrüchig und ihre Feinde ge worden. Sie ließen sie also nochmals einzeln vortreten und ihnen die Frage vorlegen, ob sie im Laufe des Krieges etwas für die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen getan hätten,