History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Diesen Frevel zu sühnen, verlangten die Lakedämonier also von den Athenern, angeblich, um die Götter zu versöhnen, in Wahrheit aber, weil sie wußten, daß Perikles, der Sohn des Xanthippos, durch seine Mutter mit jenem Geschlechte verwandt war, und sie nach dessen Vertreibung mit den Athe­ nern leichter fertig zu werden dachten. Und wenn sie auch nicht grade darauf rechneten, daß es wirklich dazu kommen l würde, so durften sie immerhin hoffen, seine Stellung in der Stadt würde darunter leiden, wenn es hieße, daß es doch mit um dieser Verwandtschaft wegen zum Kriege komme. Denn Perikles war zu der Zeit der mächtigste Mann und, solange er an der Spitze stand, stets ein Gegner der Lakedämonier. Von Nachgiebigkeit gegen sie wollte er nichts wissen, sondern die Athener zum Kriege treiben.

Demgegenüber verlangten die Athener aber auch von den Lakedämoniern, sie sollten den Frevel von Tainaron sühnen. Die Lakedämonier hatten nämlich früher mal Heloten, welche in dem Poseidontempel zu Tainaron Schutz gesucht, von dort abgeführt und getötet, und daS war auch nach ihrer eigenen Meinung die Ursache des großen Erdbebens in Sparta gewesen. Außerdem aber verlangten sie von ihnen die Sühne des Frevels gegen die Chalkioikos. Damit aber hatte es folgende Bewandt­ nis. Nachdem der Lakedämonier Pausanias von den Spar­ tanern das erstemal vom Oberbefehl am Hellespont ab­ berufen und in Untersuchung gezogen, aber freigesprochen war, wurde er von Staats wegen nicht wieder hinausgeschickt. Da­ gegen nahm er auf eigene Hand eine hermionische Triere und fuhr damit ohne Auftrag der Lakedämonier nach dem Hellespont, angeblich, um mit für die Griechen zu fechten, in der Tat aber, um dort die Geschäfte des Perserkönigs zu betreiben, wie er das früher auch schon getan hatte, weil er selbst König von Griechenland werden wollte. Eine Aufmerksamkeit, die er dem König erwies, war der erste Schritt gewesen, um mit ihm

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anzuknüpfen. Bei der Einnahme von Byzanz, damals bei seiner ersten Anwesenheit dort nach dem Abzüge von Cypern, waren unter der persischen Besatzung der Stadt auch mehrere nahe Verwandte des Königs in seine Hand gefallen. Diese schickte er, ohne daß die übrigen Bundesgenossen darum wußten, dem König heimlich zurück, indem er vorgab, sie seien ihm entflohen. Er bediente sich dazu der Hilfe des Eretriers Gongylos, dem er die Stadt Byzanz und die Gefangenen anvertraut hatte. Auch gab er Gongylos einen Brief an den König mit, in dem er ihm, wie sich das später herausstellte, folgendes ge­ schrieben hatte: „Ich, Pausanias, Spartas Oberfeldherr, will Dir eine Freude machen und schicke Dir deshalb diese meine Kriegsgefangenen. Sofern es auch Dir genehm ist, bin ich bereit, Deine Tochter zu heiraten und Sparta und ganz Griechenland unter Deine Herrschaft zu bringen. Dazu glaube ich im Bunde mit Dir imstande zu sein. Bist Du geneigt, darauf einzugehen, so schicke mir einen zuverlässigen Mann an die See, durch den wir weiter miteinander verhandeln können."

So viel ergab sich aus dem Briefe. Xerxes aber war über den Brief sehr erfreut und schickte Artabazos, Pharnakes' Sohn, an die See, den er zugleich an Stelle deS Megabates, des bisherigen Statthalters der Satrapie Daskylion, zu dessen Nachfolger ernannte. Auch befahl er ihm, ein ihm für Pau­ sanias mitgegebenes Antwortschreiben diesem unter Hinweis auf das Siegel schleunigst zustellen zu lassen und alle in An­ gelegenheiten des Königs ihm von Pausanias erteilten Befehle pünktlich zu befolgen. An seinem Bestimmungsorte angelangt, übersandte Artabazos den ihm erteilten Befehlen gemäß auch das Schreiben an Pausanias. Die Antwort lautete: „König Xerxes erwidert dem Pausanias folgendes: Der gute Dienst, den Du mir dadurch erwiesen, daß Du mir die Männer wohl­ behalten von drüben aus Byzanz zurückgesandt hast, soll Dir in unserem Hause für immer angeschrieben sein; auch bin ich mit Deinen Vorschlägen völlig einverstanden. Laß Dich Tag und Nacht nicht abhalten, Deinen mir angedeuteten Plan weiter zu verfolgen. An Gold und Silber und allem, was Du an [*]( I )

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Truppen dazu etwa bedarfst, soll es Dir nickt fehlen. Ich habe Dir Artabazos, einen zuverlässigen Mann, geschickt; ihm kannst Du trauen und mit ihm alles Weitere verabreden, wie es meinen und Deinen Interessen entspricht."

Pausanias, der schon vorher als Oberbefehlshaber bei Platää als großer Herr aufgetreten war, überhob sich nach Empfang dieses Schreibens erst recht; er meinte schon nicht mehr nach Landessitte leben zu können, legte persische Kleidung an, umgab sich nach dem Aufbruch von Byzanz auf dem Wege durch Thrakien mit einer aus Persern und Ägyptern bestehenden Leibwache, richtete seine Tafel persisch ein und vermochte auS seiner Gesinnung so wenig Hehl zu machen, daß er schon da­ mals im kleinen verriet, wie er es später im großen treiben würde. Nicht leicht erhielt man Zutritt bei ihm, und sein hochfahrendes Benehmen gegen jedermann ohne Unterschied machte jeden Verkehr mit ihm unmöglich. Hauptsächlich da­ durch wurden ja auch die Bundesgenossen den Athenern in die Arme getrieben.

Eben darum hatten ihn auch die Lakedämonier, als sie davon gehört, schon das erstemal abberufen, und diesmal, wo er ohne ihr Geheiß mit dem hermionischen Schiffe ausgefahren war, machte er es anscheinend wieder ebenso. Als ihm die Athener in Byzanz den Stuhl vor die Tür gesetzt hatten, war er nicht nach Sparta zurückgekehrt, sondern hatte sich nach Kolonai in Troas begeben und dem Vernehmen nach mit den Persern eingelassen, so daß man sich von seinem längeren Aufenthalt dort nichts Gutes versprechen konnte. Das wurde den Lakedämoniern schließlich doch zu viel, und die Ephoren schickten ihm einen Herold mit einem Bandschreiben und dem Befehl, im Geleit des Heroldes sofort zurückzukommen, widrigen­ falls ihm Sparta damit den Krieg erkläre. Er aber kehrte, um sich nicht noch verdächtiger zu machen, und in der Hoff­ nung, sich mit Geld aus der Schlinge ziehen zu können, zum zweitenmal nach Sparta zurück. Hier ließen die Ephoren ihn zunächst gefangennehmen, wozu sie auch den Königen gegenüber befugt sind; nachher aber setzte er dann doch seine Freilassung

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durch, indem er sich bereit erklärte, sich jedem, der ihm etwas beweisen wolle, vor Gericht zu stellen.

Auch hatten die Spartaner, weder die Regierung noch seine Feinde, keine genügenden Beweise in Händen, um einen Mann aus königlichem Hause, der zudem eben jetzt die höchste Würde bekleidete, zur Strafe ziehen zu können. Pausanias war nämlich ein Vetter und als solcher Vormund des noch minderjährigen Königs Pleistoanax, des Sohnes des Leonidas. Immerhin hatte er sich durch Verstoß gegen die heimische Sitte und die Annahme persischer Lebensweise in hohem Grade ver­ dächtig gemacht, daß er sich gegen die bestehende Ordnung auflehnen wolle, und man sah sich deshalb danach um, was er sich in dieser Beziehung etwa noch weiter habe zuschulden kommen lassen. So hatte er sich schon früher herausgenommen, auf den Dreifuß, den die Griechen von der Perserbeute nach Delphi gestiftet hatten, eigenmächtig folgende Inschrift zu setzen: Weil er als Führer der Griechen die Heere der Meder vernichtet, Weihte Pausanias dir, Phoibos, dieses Geschenk.

Diese Verse hatten die Lakedämonier auf dem Dreifuß damals gleich wieder beseitigen lassen und statt dessen die Namen der Städte daraus angebracht, von denen das Weihgeschenk nach ihrem gemeinsamen Siege über die Perser gestiftet worden war. Hatte man das Pausanias immer schon verdacht, so machte sein jetziges Gebaren eS vollends wahrscheinlich, daß er schon damals ähnliche Pläne gehabt habe. Weiter hieß es, er habe sich auch mit den Heloten eingelassen, und das war auch an dem; denn er hatte ihnen Freiheit und Bürgerrecht versprochen, falls sie sich auch empören und gemeinschaftliche Sache mit ihm machen würden. Aber wenn auch Aussagen einiger Heloten gegen ihn vorlagen, konnte man sich nach dem in Sparta stets befolgten Grundsatze, niemals übereilt und ohne die unzwei­ deutigsten Beweise einen Spartiaten scharf anzufassen, noch immer nicht zu einem auffallenden Schritt gegen ihn ent­ schließen, bis dann ja, wie es heißt, der Bote, welcher dem Artabazos seinen letzten Brief an den König überbringen sollte, ein junger Mensch aus Argylos, der früher mal sein Lieb­

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ling und ihm bis dahin treu ergeben gewesen war, ihn an die Ephoren verriet. Dem war es aufgefallen, daß von den früheren Boten keiner wieder zurückgekommen war. Daraus hatte er Verdacht geschöpft und den Brief geöffnet, nachdem er vorher das Siegel nachgemacht, um sich nicht zu verraten, falls er einen falschen Verdacht gehabt haben sollte oder Pausanias, um etwas in dem Briefe zu ändern, ihn zurück- fordern würde. Und wie er etwas derart vermutet, stand auch wirklich darin, man solle ihn töten.

Als er den Brief den Ephoren gezeigt, waren diese im Grunde von der Schuld des Pausanias schon überzeugt, wünschten aber aus dessen eigenem Munde zunächst auch selbst etwas zu hören. Auf ihre Veranlassung begab sich der Mensch als Schutzflehender nach Tainaron, ließ sich dort eine Hütte mit einer Scheidewand darin bauen und ein paar Ephoren sich da­ hinter verstecken. Und hier konnten sie nun, als Pausanias ihn dort aufsuchte und nach dem Grunde seiner Flucht fragte, alles deutlich mit anhören. Wie der Mensch ihm vorhielt, was er seinetwegen in den Brief geschrieben, und alles Punkt für Punkt mit ihm durchging, - daß er ihn, wo immer er sich in den Verhandlungen mit dem Könige seiner Hilfe bedient, niemals bloßgestellt oder in Ungelegenheit gebracht habe und nun zum Lohn dafür wie alle seine anderen Boten obendrein die Ehre haben solle, getötet zu werden, - und wie Pausanias das alles zugab und ihn bat, ihm deshalb jetzt nicht weiter böse zu sein, auch sich dafür verbürgte, daß er sich ohne Gefahr aus dem Heiligtum entfernen könne, und ihn schließlich auf­ forderte, schleunigst abzureisen, damit die Verhandlungen nicht ins Stocken kämen.

Nachdem die Ephoren das alles mit angehört hatten und nunmehr von seiner Schuld völlig überzeugt waren, kehrten sie in die Stadt zurück, um ihn dort verhaften zu lassen. Allein, heißt es,, als man ihn auf der Straße hätte festnehmen wollen und er dabei einem der auf ihn zukommenden Ephoren die Absicht auf dem Gesicht angesehen, auch von einem anderen einen wohlgemeinten Wink erhalten habe, sei er ihnen ent­

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sprungen und in das in der Nähe befindliche Heiligtum der Chalkioikos geflohen, wo er sich, um nicht unter freiem Himmel den Unbilden der Witterung ausgesetzt zu sein, in ein zum Tempel gehöriges kleines Haus zurückgezogen und ruhig zu­ gegeben habe. Die Ephoren waren diesmal allerdings zu spät gekommen. Hernach aber ließen sie das Dach und die Türen des Hauses abnehmen und ihn, nachdem sie aufgepaßt, daß er wirklich drin war, darin einmauern. Darauf stellten sie Wachen um das Haus, um ihn auszuhungern. Als sie merkten, daß es mit ihm zu Ende ging, brachten sie ihn, eben noch lebend, aus dem Bereich des Tempels ins Freie, wo er gleich darauf verschied. Anfangs wollten sie ihn wie andere Verbrecher in den Kaiadischen Schlund werfen, dann aber ließen sie ihn doch irgendwo in der Nähe begraben. Später gebot der delphische Gott den Lakedämoniern, das Grab an die Stelle zu verlegen, wo er gestorben war - und wo er noch jetzt, wie eine In­ schrift an den Säulen zeigt, im Vorhofe des Tempels liegt auch wegen des Frevels, dessen sie sich durch die Tat schuldig gemacht, der Chalkioikos für ein Mannsbild zwei wiederzu­ geben. Sie ließen denn auch zwei eherne Standbilder an­ fertigen und für Pausanias dort auftsellen.

Die Sühne dieses Frevels, wofür ihn ja auch der Gott selbst erklärt habe, verlangten die Athener also jetzt ihrerseits von den Lakedämoniern. Nach dem Tode des Pausanias schickten die Lakedämonier Gesandte nach Athen, um auch Themistokles zu beschuldigen, daß er sich, wie sich das in der Untersuchung gegen Pausanias herausgestellt, so gut wie dieser mit den Persern eingelassen habe, und verlangten, daß er dafür ebenso bestraft würde, wozu sich die Athener auch bereit er­ klärten. Themistokles aber war bereits durch den Ostrakismos verbannt und befand sich damals in Argos oder doch auf Reisen im Peloponnes. Sie sandten deshalb in Gemeinschaft mit den Lakedämoniern, die dazu gern die Hand boten, Häscher gegen ihn aus mit dem Befehl, wo immer sie ihn anträfen, sich seiner zu bemächtigen.

Themistokles aber erhielt davon rechtzeitig Wind und

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entfloh auS dem Peloponnes zu den Kerkyräern, deren alter Gönner er war, und als die ihm erklärten, sie könnten ihn nicht bei sich behalten, weil sie fürchten müßten, sich dadurch die Feindschaft der Lakedämonier und der Athener zuzuziehen, ließ er sich von ihnen nach dem benachbarten Festlande über­ setzen. Allein die Häscher blieben ihm auf der Spur und ver­ folgten ihn auch dahin, und nun wurde er durch einen un­ glücklichen Zufall genötigt, grade bei seinem Feinde, dem Molosserkönig Admetos, einzukehren. AdmetoS selbst war augen­ blicklich nicht zu Hause, seine Gemahlin aber nahm ihn in ihren Schutz und riet ihm, ihr und AdmetoS' kleines Söhnlein auf den Arm zu nehmen und sich mit ihm auf den Herd zu setzen. AlS Admetos bald darauf nach Hause kam, gab Themi­ stokleS sich ihm zu erkennen und bat ihn, wenn er auch damals, alS er sich um Hilfe nach Athen gewandt, gegen ihn gesprochen habe, ihn daS jetzt nicht entgelten zu lassen. ES würde seiner unwürdig sein, sich hier, wo er wehrlos sei, an ihm zu rächen; ein edler Mann greife nicht zum Schwerte, wo sein Gegner nicht in der Lage sei, ihm mit gleicher Waffe zu begegnen. Auch habe eS sich damals, wo er gegen ihn aufgetreten sei, ja nur um eine Kleinigkeit und nicht um Leben und Tod ge­ handelt; er aber müsse, wenn er ihn jetzt ausliefere, alle Hoff­ nung schwinden lassen, mit dem Leben davonzukommen. Und nun teilte er ihm mit, von wem und weswegen er verfolgt würde.

Hierauf hieß AdmetoS ihn vom Herde aufstehen mit feinem Sohne, den er als daS wirksamste Mittel, sich seinem Schutze zu empfehlen, noch immer auf dem Arme hatte. Und alS bald nachher die Lakedämonier und Athener kamen und ihm gewaltig in den Ohren lagen, lieferte er ihn ihnen nicht auS, sondern ließ ihn, weil er zum Könige wollte, über Land an die andere Küste nach Pydna, der Hauptstadt Alexanders, geleiten. Hier traf er ein Lastschiff, daS grade nach Jonien abgehen wollte, auf welchem er sich einschiffte, mit dem er dann aber an die athenische Flotte vor NaxoS verschlagen wurde. Bis dahin wußte niemand an Bord, wer er war.

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Jetzt aber in seiner Besorgnis teilte er dem Schiffer mit, wer er wäre und weshalb er verfolgt werde. Zugleich drohte er ihm, wenn er ihm nicht durchhülfe, würde er sagen, er habe sich bestechen lassen, ihn mitzunehmen. Seine Sicherheit er­ fordere, daß niemand das Schiff verließe, bevor es weiterführe. Würde er ihm aber zu Willen sein, so solle er zum Dank auch eine gute Belohnung haben. Der Schiffer ging auch darauf ein, blieb vierundzwanzig Stunden außer Bereich ders Flotte in offener See vor Anker liegen und kam nahcher glück­ lich in Ephesos an. Zum Dank aber machte ihm Themistokles ein ansehnliches Geldgeschenk. Inzwischen hatte er nämlich von seinen Freunden aus Athen und Argos sein dort hinter­ legtes Geld erhalten. Mit einem Perser aus dem Westen des Reiches machte er sich alsdann auf die Reise inS Innere und richtete unterwegs an König Artaxerxes, den kürzlich zur Re­ gierung gelangten Sohn des Xerxes, ein Schreiben, das also lautete: „Ich, Themistokles, komme jetzt hier zu Dir. Ich habe eurem Hause mehr Schaden zugefügt als irgendein Grieche, solange ich mich gegen die Angriffe Deines Vaters wehren mußte, ihm aber noch weit mehr Gutes getan, sobald ich nichts mehr von ihm zu befürchten, er aber die Gefahren des Rück­ zugs zu bestehen hatte, und dadurch habe ich Anspruch auf Dank erworben." - Hier berief er sich darauf, daß er den Rat zum Rückzüge von Salamis gegeben und den Abbruch der Brücke verhindert habe, ein Verdienst, das er sich freilich ohne Grund zuschrieb. - „Auch jetzt noch bin ich imstande, Dir gute Dienste zu leisten, und zu Dir gekommen, weil man mich in Griechenland als Deinen Freund verfolgt. Nach Jahres­ frist sollst Du von mir selbst hören, waS mich hergeführt hat."

Der König, sagt man, war darüber sehr erfreut und forderte ihn auf, seine Absicht auszuführen. Er aber benutzte die Zwischenzeit, um möglichst gut Persisch zu lernen und sich über die Verhältnisse des Landes zu unterrichten. Als er sich dann nach Ablauf des Jahres am Hoflager des Königs ein­ gefunden, gewann er bei ihm alsbald eine Stellung, wie sie außer ihm noch nie ein Grieche eingenommen hatte, teils in­

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folge seines alten Ruhmes, teils weil er ihm Hoffnung auf die Unterwerfung Griechenlands machte, vor allen Dingen aber, weil er ihn als einen ungewöhnlich klugen Mann erkannte. Denn Themistokles war in der Tat ein Genie ersten Ranges und verdient in dieser Beziehung unsere höchste Bewunderung. Gelernt hatte er nichts und das auch später nicht nachgeholt, aber mit angeborenem Verstand traf er in jedem Augenblick nach kurzer Überlegung den Nagel auf den Kopf, und ebenso ging sein Urteil über das, was die Zukunft bringen würde, kaum jemals fehl. Was er auch in die Hand nahm, stetS stand ihm dabei das rechte Wort zu Gebote, und selbst in Dingen, bei denen er nicht hergekommen war, wußte er sich sogleich zurechtzufinden, wie er denn auch dem unscheinbarsten Wölkchen am politischen Horizont gleich ansah, ob Gutes oder Böses dahintersteckte; kurzum, er war ein Mann, der durch natürliche Begabung und Geistesgegenwart in den obwaltenden Schwierigkeiten immer das Beste traf. Er starb an einer Krankheit. Manche sagen allerdings, er habe sich selbst durch Gift das Leben genommen, weil er sich von der Unmöglichkeit überzeugt, dem Könige sein Versprechen zu erfüllen. Auf dem Markte zu Magnesia in Asien steht sein Denkmal; denn dort im Lande war er Statthalter. Der König hatte ihm nämlich Magnesia, das jährlich fünfzig Talente einbrachte, zu Brot ge­ geben, das damals durch seinen Weinbau berühmte Lampsakos zu Wein und Myus zu Gemüse. Seine Gebeine sind, wie seine Angehörigen behaupten, auf seinen Wunsch später in die Heimat gebracht und in Attika beerdigt, aber ohne daß die Athener etwas davon erfuhren; denn da er wegen Hochverrats verbannt war, durfte er dort nicht begraben werden. So endeten die ihrer Zeit berühmtesten Männer Griechenlands, der Lakedämonier Pausanias und der Athener Themistokles.

So viel über die erste Gesandtschaft der Lakedämonier und was sie dabei in betreff der Sühne des Frevels von den Athenern und diese demgegenüber von ihnen verlangt hatten. Nachher schickten sie dann noch mehrfach Gesandte nach Athen und verlangten die Aufhebung der Belagerung von Potidäa

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und die Anerkennung der Unabhängigkeit Hginas, namentlich aber auch, und zwar auf das bestimmteste, solle es nicht zum Kriege kommen, so müsse der Beschluß zurückgenommen werden, wonach die Megarer von den Häfen des athenischen Macht­ bereichs und vom attischen Markte ausgeschlossen waren. Die Athener gingen jedoch auf alle diese Forderungen nicht ein, hoben insbesondere den Beschluß nicht auf, beschwerten sich vielmehr ihrerseits darüber, daß die Megarer das Heilige Feld und die streitige Grenzflur bestellt und ihre entlaufenen Sklaven bei sich aufgenommen hätten. Zuletzt erschienen dann noch Rhamphias, Melanippos und Agesandros als Gesandte aus Lakedämon, beschränkten sich aber, ohne auf» die anderen, früher erörterten Punkte zurückzukommen, einfach auf folgende Erklärung: „Lakedämon will den Frieden, und den könnt ihr haben, wenn ihr die Unabhängigkeit der Griechen anerkennt." Nachdem die Athener in einer zu dem Ende berufenen Ver­ sammlung hierüber unter sich verhandelt hatten, wurde be­ schlossen, die Sache nunmehr ein für allemal abzumachen und den Lakedämoniern eine endgültige Antwort zu erteilen. Unter den zahlreichen Rednern, welche hierauf in der Versammlung auftraten, waren die Ansichten geteilt, die einen waren für den Krieg, während andere meinten, jener Beschluß dürfe den Frieden nicht hindern und müsse aufgehoben werden. Da aber trat auch Perikles auf, der Sohn des Xanthippos, derzeit der erste Mann in Athen, gleich groß als Redner wie als Staats­ mann, und redete sie also an:

„Ich bin nach wie vor der Ansicht, Athener, daß wir den Peloponnesiern nicht nachgeben dürfen, wenn ich auch weiß, daß man den Krieg leichter beschließt als durchführt, und daß mit dem Wechsel des Kriegsglücks auch die Stimmung zu wechseln pflegt. Aber auch jetzt kann ich euch nichts Besseres raten und bin gewiß, daß meine Freunde hier, wenn ihr ihn beschließt, mannhaft dafür eintreten, sollte uns das Glück auch mal im Stich lassen, wie sie es ja auch nicht ihrer Klugheit zuschreiben werden, wenn es uns lächelt. Denn das Glück ist so unberechenbar wie die Gedanken deS Menshcen, weshalb wir

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ja auch ein unverhofftes Mißgeschick dem Zufall in die Schuhe zu schieben pflegen. Offenbar führen die Lakedämonier schon lange Böses gegen uns im Schilde und vollends jetzt. Streitig­ keiten unter uns sollten ja doch vor ein Schiedsgericht gebracht werden und beide Teile sich dessen Ausspruch unterwerfen. Sie aber haben nie ein Schiedsgericht verlangt, gehen auch nicht darauf ein, wenn wir eins begehren, weil sie die Streitig­ keiten lieber durch Waffengewalt als in Güte entschieden sehen wollen. Und jetzt treten sie hier schon nicht mehr als Beshcwerde­ führer, sondern als Befehlende auf; befehlen sie uns doch, von Potidäa abzuziehen, die Unabhängigkeit Aginas anzuerkennen und den Beschluß wegen Megaras aufzuheben, und zu guter Letzt kommen nun noch gar diese Herren hier und verlangen, daß wir die Unabhängigkeit der Griechen anerkennen sollen. Glaubt nicht, daß es einer Kleinigkeit wegen zum Kriege kommt, wenn wir den Beschluß wegen Megaras nicht aufheben; mögen sie noch so viel sagen, wenn wir ihn aufhöben, würde es nicht zum Kriege kommen. Nein, ihr braucht euch keine Gewissens­ bisse zu machen, einer Kleinigkeit wegen Krieg angefangen zu haben. Diese Kleinigkeit ist nur die Kraftprobe, waS man euch bieten kann. Gebt ihr ihnen hierin nach, so werden sie gleich noch mehr von euch verlangen, überzeugt, daß ihr auch diesmal nur auS Furcht nachgegeben habt. Zeigt ihr ihnen aber die Zähne, so werden sie sich schon merken, daß ihr nicht die Leute seid, euch von ihnen befehlen zu lassen.

„Überlegt euch also, ob ihr klein beigeben wollt, ehe ihr zu Schaden kommt, oder ob wir, was ich für das beste halte, Krieg führen und, mögen sie viel oder wenig fordern, unter keinen Umständen nachgeben und unseren Besitz furchtlos be­ haupten wollen. Denn jede Forderung, ob groß oder klein, die man gegen seinesgleichen ohne Urteil und Recht durchsetzt, bedeutet Knechtschaft. Daß wir ihnen mit unseren Streitkräften und Hilfsmitteln gewahcsen sind, werde ich euch jetzt im ein­ zelnen auseinandersetzen. Hört zu. Die Peloponnesier sind Bauern, die von ihrer Hände Arbeit leben; Geld haben sie nicht, weder der einzelne noch der Staat. Auf lange, über­

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seeische Kriege verstehen sie sich nicht, da sie ihrer Armut wegen untereinander immer nur kurze Kriege führen. Flotten aus­ rüsten können sie nicht und ebensowenig öfter mit Heeren ins Feld ziehen, weil sie sich dabei von Haus und Hof entfernen und auf eigene Kosten leben müssen und ihnen noch dazu die See verschlossen ist. Auch hält man einen Krieg leichter durch, wenn man einen vollen Staatsschatz hat und keine Steuer­ schraube dazu anzusetzen braucht. Der Bauer setzt im Kriege lieber seine Person ein als sein Geld, weil er darauf rechnet, selbst allenfalls mit heiler Haut davonzukommen, während er darauf gefaßt sein muß, sein Hab und Gut im Laufe deS Krieges draufgehen zu sehen, zumal wenn der Krieg, wie dies­ mal doch wahrscheinlich, sich über Erwarten in die Länge zieht. In einer einzelnen Schlacht können es die Peloponnesier und ihre Verbündeten mit ganz Griechenland aufnehmen, einen Krieg aber gegen einen besser gerüsteten Gegner vermögen sie nicht zu führen, solange sie keine einheitliche BundeSgewalt haben und deshalb zu rashcem Handeln unfähig sind; denn bei gleichem Stimmrecht und Stammesverschiedenheit, wobei jeder nur seine besonderen Interessen im Auge hat, kommt so leicht nichts Zweckdienliches zustande. Da will der eine diesem oder jenem zu Leibe gehen, der andere selbst nur möglichst ungeschoren bleiben. Auf ihren Tagsatzungen, wenn es wirklich mal dazu kommt, ist wohl hin und wieder auch von gemein­ samen Aufgaben des Bundes die Rede, zumeist aber handelt eS sich auch hier nur um Angelegenheiten und Sonderinteressen der Einzelstaaten. Jeder glaubt, es werde auch wohl ohne ihn gehen oder ein anderer werde die Sache für ihn schon mit­ besorgen, und eben weil das alle glauben, merken sie nicht, daß aus der Sache überhaupt nichts wird.

„Das Wichtigste aber ist, daß ihnen der Mangel an Geld stets die Hände binden wird, solange sie sich so wenig beeilen, sich damit zu rechter Zeit zu versehen. Die Gelegenheiten im Kriege warten nicht. Auch vor ihren Trutzwerken und Flotten brauchen wir unS nicht zu fürchten. Ein Trutz-Athen zu bauen, würde ihnen schon im Frieden schwer werden, und nun gar

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in Feindesland, und wo auch wir unsere Grenzfestungen gegen sie haben. Sollten sie wirklich irgendeinen kleineren Platz befestigen, so könnten sie uns freilich von dort einen einzelnen Landesteil durch Streifzüge verheeren und unsere Leute zum Ausreißen verlocken, uns aber dadurch nicht hindern, ihnen zu Schiff ins Land zu fallen, um dort auch Festungen anzu­ legen und sie mit unserer überlegenen Flotte zu bekämpfen. Wir haben im Seekriege mehr für den Landkrieg gelernt als sie in ihren Festtandskriegen für den Krieg zur See. Und so leicht werden sie es-nicht dahinbringen, auch tüchtige See­ leute zu werden. Sind wir doch selbst hier in Athen, wo man sich schon seit den Perserkriegen auf die See geworfen hat, in dieser Beziehung immer noch in den Lehrjahren. Wie sollten denn diese Bauern, diese Landratten, gleich brauchbare Seeleute werden, zumal wenn wir mit unseren vielen Schiffen sie in ihre Häfen einsperren und es ihnen dadurch unmöglich machen, sich im Seedienst zu üben. Möglich, daß sie sich im Vertrauen auf ihre Überzahl mal zu einem Gefecht mit ein paar Blockadeschiffen herauswagen; aber einer großen Flotte gegenüber werden sie sich draußen nicht blicken lassen und deshalb bei dem Mangel an Übung immer Stümper bleiben, darum aber auch keine sonderliche Lust zum Fechten haben. Das Seemannshandwerk ist eine Kunst wie nur eine, die man nicht nur so gelegentlich nebenher treiben kann, sondern auf die man sich mit ganzer Kraft verlegen muß.

„Sollten sie wirklich die Tempelschätze von Olympia und Delphi angreifen und versuchen, uns unser fremdes Schiffs­ volk durch höhere Löhne abwendig zu machen, so wäre daS freilich schlimm, wenn wir nicht unter unseren Bürgern und Schutzverwandten selbst die nötige Mannschaft für unsere Flotte hätten. Aber die haben wir auch, und, was die Hauptsache ist, unsere Steuerleute sind Athener, wie wir denn überhaupt eine zahlreichere und tüchtigere seemännische Bevölkerung haben als das ganze übrige Griechenland. Ja selbst von unserem fremden Schiffsvolk würde sich aus Furcht, heimatlos zu werden, so leicht keiner dazu verstehen, bei sonst schlechten Aussichten

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für ein paar Tage höheren Lohns in ihre Dienste zu treten. So etwa steht es meiner Meinung nach bei den Peloponnesiern. Bei unS aber sind nicht nur die bei ihnen angedeuteten Schwie­ rigkeiten nicht vorhanden, sondern wir befinden uns überhaupt in einer ungleich günstigeren Lage. Kommen sie uns zu Lande, so kommen wir ihnen zu Schiff, und es bedeutet mehr, wenn wir ihnen einen Teil des Peloponnes, als wenn sie uns ganz Attika verwüsten; denn sie haben weiter kein Land, auf das sie greifen könnten, sie müßten es denn erst erobern; wir aber haben auch sonst noch Land die Menge, auf den Inseln sowohl wie auf dem Festlande. Die See ist ein mächtiges Bollwerk. Nehmt mal an, wir wohnten auf einer Insel; wer könnte uns was anhaben? Dem müssen wir jetzt möglichst nahe zu kommen suchen, uns auf die Stadt und die See beschränken, das platte Land aber und unsere Besitzungen dort drangeben und uns ja nicht aus Verdruß darüber zu einer Schlacht mit den uns an Zahl überlegenen Peloponnesiern verleiten lassen; denn wenn wir die auch gewönnen, würden wir es alsbald mit ebensoviel Feinden wieder zu tun haben; würden wir aber geschlagen, so wäre es damit auch um unsere Bundesgenossen, das will sagen, um unsere Machtstellung geschehen; denn die stehen auf, sobald wir sie nicht mehr mit Waffengewalt nieder- halten können. Denken wir also nicht an Häuser und Felder, sondern an uns selbst; denn die sind der Menschen wegen, nicht aber die Menschen ihretwegen da. Ja, wenn ich nur hoffen dürfte, euch dazu zu überreden, so würde ich euch vor­ schlagen, gleich selbst hinauszuziehen und sie zu verwüsten, um den Peloponnesiern zu beweisen, daß sie euch damit nicht unter­ kriegen.

„Nach meiner Überzeugung können wir noch aus manchen anderen Gründen darauf rechnen, als Sieger auS dem Kampfe hervorzugehen, nur dürft ihr nicht zugleich Krieg führen und neue Eroberungen machen wollen und euch dadurch nicht in weitere Gefahren stürzen. Unsere eigenen Fehler fürchte ich nämlich mehr als unsere Feinde. Doch davon ein andermal, wenn es wirklich zum Kriege kommt. Jetzt wollen wir zunächst

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die Gesandten abfertigen und ihnen folgende Antwort mit­ geben :

Wir werden den Megarern unseren Markt und unsere Häfen öffnen, wenn auch die Lakedämonier es aufgeben, Athener und deren Bundesgenossen auszuweisen - unzulässig nach dem Vertrage ist eins so wenig wie das andere wir werden auch die Unabhängigkeit der Bundesgenossen anerkennen, so­ fern diese zur Zeit des Friedensschlusses unabhängig gewesen sind, wenn auch die Lakedämonier ihren Städten gestatten, sich nach eigenem Ermessen und nicht nur nach Belieben der Lake­ dämonier zu regieren. Auch sind wir bereit, uns in Gemäß­ heit des Vertrags einer schiedsrihcterlichen Entscheidung zu unterwerfen. Krieg werden wir nicht anfangen, uns aber zur Wehr setzen, wenn man uns angreift/ Das ist eine Ant­ wort, wie sie sich gehört und der Würde unserer Stadt ent­ spricht. Denn so viel kann ich euch sagen, um den Krieg kommen wir nicht herum. Die Feinde aber werden um so weniger darauf erpicht sein, je bereitwilliger wir sind, ihn aufzunehmen. Viel Feind, viel Ehr, daS gilt von Staaten wie von einzelnen. Haben es doch unsere Väter mit den Per­ sern aufgenommen, obgleich sie längst nicht die Mittel hatten wie wir, ja sogar Hab und Gut im Stich lassen mußten und es nicht etwa ihrem Glück und ihrer Macht, sondern allein ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit verdanken, daß sie die Fremden besiegt und Athen zu dem gemacht haben, was eS heute ist. Wir wollen es machen wie sie und alles dran­ setzen, uns unserer Feinde zu erwehren, um unsere Stadt auch unseren Nachkommen so groß und mächtig zu hinter­ lassen."

So Perikles. Die Athener aber pflichteten ihm bei und nahmen seine Vorschläge an. Sie antworteten denn auch den Lakedämoniern in seinem Sinne, und zwar wörtlich so, wie er vorgeschlagen hatte, der Hauptsache nach also, sie ließen sich von ihnen nichts befehlen, seien aber bereit, unter Wahrung voller Rechtsgleichheit die Streitigkeiten in Gemäßheit des Ver­ trags schiedsrihcterlich austragen zu lassen. Damit reisten die

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Gesandten wieder ab, und die Lakedämonier schickten dann auch weiter keine mehr.

Das waren die Beshcwerden und Streitigkeiten zwischen beiden Teilen vor Ausbruch des Krieges, welche gleich mit den Ereignissen von Epidamnos und Kerkyra einsetzten. Einstweilen war der Verkehr unter ihnen aber noch nicht abgebrochen. Man reiste noch ohne Heroldsgeleit hin und her, wiewohl man sich gegenseitig schon nicht mehr traute. Denn nach dem, waS vorgekommen, war der Bruch erfolgt und der Krieg in Sicht.