History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Seitdem waren die Athener nun auch noch bei Amphi­ polis geschlagen und Kleon und Brasidas gefallen, die Männer, welche auf beiden Seiten die Hauptgegner des Friedens ge­ wesen waren, dieser, weil der Krieg ihm, dem glücklichen Feldherrn, Ruhm und Ehre brachte, jener, weil er fürchtete, in ruhigen Zeiten möchten seine schlechten Streiche eher anS Licht kommen und seine Lügen und Verdächtigungen nichts mehr verschlagen. Um so eifriger traten jetzt zwei Männer für den Frieden ein, welche beide in ihrer Heimat nach der Führerschaft tsrebten, Pleistoanax, der Sohn des Pausanias, König der Lakedämonier, und Nikias, Nikeratos' Sohn, ein damals besonders glücklicher Feldherr. Nikias, der bis dahin immer Glück gehabt hatte und in diesem Rufe stand, wollte sein Glück nicht aufs Spiel setzen und wünschte, nicht nur selbst keine schwere Zeiten mehr zu erleben, sondern auch seine Mitbürger davor zu bewahren und der Nachwelt den Namen eines Mannes zu hinterlassen, unter dem seiner Vaterstadt niemals ein Unglück zugestoßen sei. Zu dem Ende, glaubte er, müsse man sich vor Gefahren hüten und sich auf keine gewagten Unternehmungen einlassen, der beste Schutz vor Gefahren aber sei der Friede. Pleistoanax dagegen wurde

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seiner Zurückberufung wegen von seinen Gegnern angefeindet, die, so oft den Lakedämoniern ein Unglück zustieß, ihnen be­ ständig damit in den Ohren lagen, das komme davon, daß man ihn rechtswidrig zurückberufen habe. Sie gaben ihm nämlich schuld, mit seinem Bruder Aristokles die Priesterin in Delphi angestiftet zu haben, den Lakedämoniern, wenn sie das Orakel beschickten, immer wieder den Bescheid zu erteilen, sie sollten den vom Halbgotte, dem Sohne des Zeus, Ent­ sprossenen aus der Fremde wieder in ihr Land versetzen, sonst würden sie mit silberner Pflugschar pflügen, wodurch die Lake­ dämonier endlich bewogen seien, ihn vom Lykaion, wo er unter dem Verdacht, seinerzeit zum Abzüge auS Attika be­ stochen zu sein, als Verbannter lebte und aus Furcht vor den Lakedämoniern ein zur Hälfte im Heiligtume deS ZeuS befindliches Haus bewohnte, nach neunzehn Jahren unter Tänzen und Opfern zurückzuführen, so wie man bei der Besitz­ nahme von Lakedämon die ersten Könige eingesetzt hatte.

Aus Ärger über diese Anfeindungen und weil er glaubte, im Frieden, wenn die Niederlagen ein Ende und die Lakedämonier ihre Gefangenen wieder hätten, würden auch seine Feinde ihn wohl in Ruhe lassen, im Kriege aber alle Niederlagen natürlich immer der Regierung in die Schuhe geschoben werden, wünschte er dringend, daß es zum Frieden käme. Auch trat man noch in diesem Winter zu Verhand­ lungen zusammen, und um dabei auf die Athener einen Druck zu üben, rasselten die Lakedämonier schon gegen das Frühjahr wieder mit dem Säbel und gaben Befehle über Festungs­ bauten an die Bundesstädte aus. Nach längeren Verhand­ lungen, in denen von beiden Seiten eine Menge Forderungen geltend gemacht worden waren, kam man schließlich überein, daß beide Teile die im Kriege gemachten Eroberungen zurück- geben, die Athener jedoch im Besitz von Nisaia bleiben sollten, und daraufhin Frieden zu schließen. Als es sich nämlich dabei auch um die Herausgabe von Platää handelte, behaup­ teten die Thebaner, sie hätten den Ort nicht durch Gewalt oder Verrat gewonnen, sondern er sei ihnen freiwillig v«nt

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den Einwohnern übergeben, und ans demselben Grunde be­ anspruchten die Athener, Nisaia zu behalten. Hierauf riefen die Lakedämonier ihre Bundesgenossen zusammen, und da sie alle bis auf die Böotier, Korinth, Elis und Megara, die mit den Vereinbarungen nicht einverstanden waren, für den Frieden stimmten, nahmen sie ihn an und beshcworen ihn feierlich gegenüber den Athenern und diese gegenüber den Lakedämoniern, und zwar folgendergestalt:

„Die Athener und die Lakedämonier und ihre Bundes­ genossen haben Frieden geschlossen unter folgenden Bedingungen und ihn Stadt für Stadt beschworen.

Anlangend die gemeinsamen Heiligtümer, so soll jedem frei­ stehen, sie wie von alters her zu besuchen, dort zu opfern und die Orakel zu befragen und zu dem Zwecke Gesandte hin­ zuschicken, auch niemandem dabei ein Hindernis in den Weg gelegt werden, weder zu Lande noch zur See.

Das Heiligtum und der Tempel des Apollon in Delphi und ganz Delphi soll unabhängig sein mit dem Rechte der Selbst­ besteuerung und eigener Gerichtsbarkeit über Land und Leute wie von alters her.

Der Friede soll zwischen den Athenern und den Bundes­ genossen der Athener einerseits und den Lakedämoniern und den Bundesgenossen der Lakedämonier anderseits fünfzig Jahre ohne Gefährde unverbrüchlich gehalten werden zu Lande wie zur See.

Wegen vermeintlicher Ansprüche gegen den anderen Teil Waffengewalt anzuwenden oder sich List oder ähnlicher Mittel zu bedienen, soll weder den Lakedämoniern und deren Bundes­ genossen gegen die Athener und deren Bundesgenossen, noch den Athenern und deren Bundesgenossen gegen die Lake­ dämonier und deren Bundesgenossen gestattet sein, etwaige Streitigkeiten unter ihnen sollen vielmehr im Wege Rechtens ausgetragen werden. Die Lakedämonier und ihre Bundes­ genossen sollen Amphipolis den Athenern herausgeben, die Bewohner aller von den Lakedämoniern an die Athener heraus­ gegebenen Städte aber berechtigt sein, mit Hab und Gut ab­

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zuziehen, wohin sie wollen. Die nach dem Ansatz des AristeideS tseuernden Städte sollen unabhängig sein, die Athener aber und ihre Bundesgenossen ihnen nach Abschluß deS Friedens keine Truppen in feindlicher Absicht ins Land schicken, wenn sie die Steuer zahlen. Es sind dies Argilos, StageiroS, Akanthos, Skolos, OlynthoS und Spartolos. Sie brauchen sich keinem der beiden Bündnisse anzuschließen, weder dem Lakedämonischen noch dem Athenischen; wenn sie sich aber freiwillig dazu bereitfinden lassen, so dürfen die Athener sie als Bundesgenossen annehmen. In Mekyberne, Sane und Singos soll es bei der bestehenden Verfassung bleiben, ebenso wie in Olynthos und Akanthos. Die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen sollen Panakton den Athenern, die Athener aber den Lakedämoniern Koryphasion, Kothera, Methone, Pteleon und Atalanta abtreten, auch alle Lakedämonier heraus­ geben, die sich in Athen oder sonstwo innerhalb ihres Macht­ bereichs in Kriegsgefangenschaft befinden. Auch sollen sie den in Skione belagerten Peloponnesiern und allen in Skione befindlichen, von Brasidas dahin geschickten Bundesgenossen der Lakedämonier freien Abzug gewähren und alle Bundesgenossen der Lakedämonier freilassen, die sich in Athen oder sonstwo innerhalb des Machtbereichs der Athener in Kriegsgefangen­ schaft befinden. Ebenso sollen auch die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen alle Athener und deren Bundesgenossen freilassen, die sich bei ihnen in Gefangenschaft befinden. Mit Skione, Torone, Sermyle und den etwa sonst noch von ihnen er­ oberten Städten mögen die Athener nach Gutdünken verfahren. Die Athener und ihre Bundesgenossen sollen den Frieden den Lakedämoniern gegenüber Stadt für Stadt beschwören und die aus jeder Stadt Schwörenden den ortsüblich höchsten Eid leisten. Der Eid aber soll also lauten: Ich will den Vertrag und den Frieden gewissenhaft halten ohne Gefährde. In gleicher Weise sollen die Lakedämonier und ihre Bundes­ genossen den Athenern gegenüber schwören. Beide Teile haben den Eid alljährlich von neuem zu leisten.

Säulen sollen aufgestellt werden zu Olympia, Pntho, auf dem

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Isthmus, in Athen auf der Burg und im Amyklaion in Lake­ dämon.

Sollte einer von beiden Teilen hierbei etwas vergessen haben, so soll es beiden nach dem Eide unbenommen sein, das offen und ehrlich zur Sprache zu bringen, um, falls beide, Athener und Lakedämonier, damit einverstanden sind, in dieser Beziehung eine Änderung des Vertrags herbeizu­ führen."

Beim Friedensschluß hatte den Vorsitz der Ephor Pleistolas am vierundzwanzigsten Artemisios, in Athen der Archon Altaios am sechsundzwanzigsten Elaphebolion. Den Frieden beshcworen von seiten der Lakedämonier Pleistoanax, Agis, Pleistolas, Damagetos, Chionis, Metagenes, Akanthos, Dailthos, Jscha­ goras, Philocharidas, Zeuxidas, Antippos, Tellis, Alkidanas, Empedias, Menas und Laphilos, von seiten der Athener Lampon, Jsthmionikos, Nikias, Laches, Euthydemos, Prokles, Pythodoros, Hagnon, Myrtilos, Thrafykles, Theagenes, Aristo­ krates,Jolkios,Timokrates, Leon, Lamachos und Demosthenes.

Dieser Friede wurde geschlossen zu Ende des Winters gegen Frühlingsanfang gleich nach den städtischen Dionysien, grade zehn Jahre und ein paar Tage nach dem ersten Einfall in Attika und dem Ausbruch des Krieges. Nur muß man dabei auch die Jahreszeiten berücksichtigen und sich nicht bloß an die Namen der Archonten oder sonstigen Würdenträger halten, wonach in den einzelnen Orten bei geschichtlichen Er­ eignissen gerechnet wird. Denn das ist nicht genau genug, weil es auf den Zeitpunkt ankommt, an dem das Ereignis während ihres Amtsjahrs eingetreten ist, ob zu Anfang, in der Mitte, oder wann sonst. Zählt man aber nach Sommern und Wintern, wie ich es hier getan habe, so ergibt sich, da die beiden Hälften zusammen das Jahr ausmachen, daß in diesem ersten Abschnitt des Krieges zehn Sommer und eben­ so viel Winter verflossen waren.

Die Lakedämonier, welche, wie durchs Los entschieden war, zuerst herausgeben mußten, setzten ihre Kriegsgefangenen sofort in Freiheit, schickten auch Jschagoras, Menas und

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Philocharidas als Bevollmächtigte nach der thrakischen Küste und befahlen Klearidas, Amphipolis den Athenern herauszugeben, den übrigen Orten aber, sich den in Beziehung auf sie in dem Vertrage getroffenen Bestimmungen zu unterwerfen. Die wollten das aber nicht, weil sie ihnen nicht nach Sinne waren. Auch Klearidas gab Amphipolis nicht heraus, den Chalkidiern zu Gefallen, und erklärte, gegen deren Widerspruch sei ihm daS nicht möglich. Indes machte er sich doch unverzüglich mit den Bevollmächtigten von dort nach Lakedämon auf, um sich zu rechtfertigen, falls diese ihn wegen seines Ungehorsams verklagen würden, zugleich aber auch, um zu erfahren, ob der Vertrag nicht noch geändert werden könnte. Als er aber hörte, daß der Friede bereits endgültig geschlossen sei und die Lakedämonier ihn mit dem Befehl entließen, die Stadt heraus­ zugeben oder, wenn daS nicht ginge, wenigstens mit allen Peloponnesiern von dort abzuziehen, reiste er unverzüglich wieder ab.

Die Bundesgenossen waren damals grade in Lakedämon selbst zugegen, und die Lakedämonier suchten nun auch die Städte, welche den Frieden nicht angenommen hatten, zum Beitritt zu bewegen. Die aber lehnten das aus demselben Grunde ab, aus dem sie sich dessen gleich anfangs geweigert hatten, und erklärten, sie würden sich dazu nur verstehen wenn man ihnen günstigere Bedingungen gewähre. Da sie nicht wollten, ließen die Lakedämonier sie ziehen und schlossen nun selbst ein Bündnis mit den Athenern. Sie glaubten nämlich, daß die Argeier, die schon damals Ampelidas und Lichas gegenüber, in der Meinung, ohne die Athener könnten sie ihnen nicht gefährlich werden, die Verlängerung des Friedens abgelehnt hatten, sich jetzt schwerlich ruhig zugeben, sondern samt den übrigen peloponnesischen Staaten bei erster Gelegen­ heit mit den Athenern verbinden würden. Sie benutzten also die Anwesenheit athenischer Gesandten, um mit ihnen Ver­ handlungen über den Abschluß eines Bündnisses anzuknüpfen, das dann auch folgendermaßen zustande kam und beshcworen wurde.

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„Mit den Lakedämoniern wird ein Bündnis auf fünfzig Jahre geschlossen, und zwar dahin:

Falls den Lakedämoniern jemand ins Land fällt und Feind­ seligkeiten gegen sie verübt, sollen die Athener ihnen, soweit es in ihren Kräften steht, nach Möglichkeit zu Hilfe kommen. Wäre er nach Verheerung des Landes wieder abgezogen, so soll er von den Lakedämoniern und den Athenern als Feind behandelt und sein Land von beiden verheert, auch von beiden Staaten nur gemeinschaftlich Frieden geschlossen werden. Alles ehrlich, willig, ohne Gefährde.

Falls den Athenern ein Feind ins Land fällt und Feindselig­ keiten gegen sie verübt, sollen die Lakedämonier ihnen, soweit es in ihren Kräften steht, nach Möglichkeit zu Hilfe kommen. Wäre er nach Verheerung des Landes wieder abgezogen, so soll er von den Lakedämoniern und den Athenern als Feind behandelt und sein Land verheert, auch von beiden Staaten nur gemeinschaftlich Frieden geschlossen werden. Alles ehrlich, willig, ohne Gefährde.

Im Fall eines Sklavenaufstandes sollen die Athener den Lake­ dämoniern mit aller Macht nach Möglichkeit zu Hilfe kommen. Dieser Vertrag soll beiderseits von denselben Personen be­ schworen werden, welche den ersten beshcworen haben. All­ jährlich soll der Eid von neuem geleistet werden, wozu sich die Lakedämonier zu den Dionysien in Athen, die Athener zu den Hyakinthien in Lakedämon einzusinden haben. Auch soll von beiden eine Säule aufgestellt werden, die eine in Lake­ dämon beim Tempel des Apollon im Amyklaion, die andere in Athen auf der Burg beim Tempel der Athene. Sollten die Lakedämonier oder die Athener wünschen, in betreff des Bünd­ nisses etwas hinzuzufügen oder zu streichen, so soll das beiden nach dem Eide unbenommen sein."

Den Eid leisteten von seiten der Lakedämonier Pleistoanax, Agis, Pleistolas, Damagetos, Chionis, Metagenes, Akanthos, Dattos, Ischagoras, Philocharidas, Zeuxidas, Antippos, Alki­ nadas, Tellis, Empedias, MenaS und Laphilos, von seiten der Athener Lampen, Isthinionikos, Lackes, Nikias, Euthy­[*]( II )

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demos, Prokles, Pythodoros, Hagnon, Myrtilos, ThrasykleS, Theagenes, Aristokrates, Jolkios, Timokrates, Leon, Lamachos und Demotshenes.

Dieses Bündnis kam nicht lange nach dem Abschluß deS Friedens zustande. Die Athener gaben den Lakedämoniern die Gefangenen von der Insel heraus, und der Sommer des elften Jahres begann. Damit schließt die Beschreibung des ersten Krieges, welcher ohne Unterbrechung die zehn Jahre hindurch gedauert hatte.

Nachdem die Lakedämonier und die Athener den Frieden und das Bündnis geschlossen, wozu es nach dem zehnjährigen Kriege unter dem Ephorat des Pleistolas in Lakedämon und dem Archontat des Alkaios in Athen gekommen war, herrschte unter den Staaten, die ihn angenommen, allerdings Frieden. Die Korinther aber und einige Staaten im Peloponnes wollten sich bei den getroffenen Bestimmungen nicht beruhigen, und schon bald kam es auch noch anderweit zu Reibungen zwischen den Lakedämoniern und ihren Bundesgenossen. Überdies wurden die Lakedämonier im Laufe der Zeit auch den Athenern verdächtig, da sie in verschiedener Beziehung den vertrags­ mäßigen Bestimmungen nicht nachkamen. Sechs Jahr und zehn Monat vermieden sie es zwar, sich im eigenen Lande an­ zugreifen, auswärts aber suchten sie einander möglichst Ab­ bruch zu tun, so daß der Friede hier wenig mehr zu bedeuten hatte. Dann aber sahen sie sich doch genötigt, den nach den zehn Jahren geschlossenen Frieden förmlich zu brechen und den Krieg offen wieder aufzunehmen.

Und diesen hat Thukpdides aus Athen ebenfalls beschrieben, so wie es von Jahr zu Jahr nach Sommern und Wintern darin zugegangen ist, bis die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen der Herrschaft der Athener ein Ende machten und sich der langen Mauern und des Peiraieus bemächtigten. Bis dahin dauerte der Krieg im ganzen siebenundzwanzig Jahre. Wollte man die in der Mitte liegenden Friedensjahre nicht als Kriegszeit ansehen, so wäre das nicht richtig. Es genügt ein Blick auf die Ereignisse, wie ich sie dargestellt, um sich zu überzeugen, daß man nicht

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füglich von Frieden reden kann in einer Zeit, wo beide Teile weder alles Herausgaben noch wiederbekamen, wie es in dem Vertrage ausgemacht war, und sich außerdem im mautineishcen und epidaurischen Kriege und auch sonst noch über ihn hinweg­ setzten, die vorderthrakischen Bundesgenossen nach wie vor eine feindliche Haltung behaupteten und die Böotier es bei einem von zehn zu zehn Tagen verlängerten Waffenstillstände be­ wenden ließen. Rechnet man aber den ersten zehnjährigen Krieg, die darauf folgende kritische Friedenszeit und die späteren Kriegsjahre zusammen, so kommen bis auf wenige Tage so viel Jahre heraus, und das ist denn in der Tat auch das einzige, was für Leute, die noch an Orakel glauben, wirklich ein­ getroffen ist. Denn ich erinnere mich noch recht gut, wie von Anfang bis zu Ende des Krieges vielfach prophezeit wurde, er würde dreimal neun Jahre dauern. Ich habe den ganzen Krieg miterlebt und während meiner besten Jahre die Er­ eignisse aufmerksam genug verfolgt, um genau Bescheid zu wissen. Dazu kam, daß ich nach der Zeit meines Oberbefehls bei Amphipolis zwanzig Jahr außer Landes leben mußte und Gelegenheit hatte, mir die Dinge hüben und drüben anzusehen, infolge meiner Verbannung grade auch auf peloponnestscher Seite, und mir um so eher ein unbefangenes Urteil darüber zu bilden. Damit wende ich mich nun zu den Streitigkeiten nach den zehn Jahren, dem Bruch des Friedens und den weiteren Ereignissen des Krieges.

Nachdem der fünfzigjährige Friede und darauf auch das Bündtiis geschlossen war, reisten die dazu nach Lakedämon entbotenen peloponnesischen Gesandten wieder ab, die übrigen nach Hause, die Korinther zunächst nach Argos. Hier stellten sie einigen hohen Beamten vor, daß die Lakedämonier den Frieden und das Bündnis mit ihren alten Feinden, den Athenern, nicht ohne Hintergedanken geschlossen hätten, sondern zu dem Zweck, sich den Peloponnes zu unterwerfen, und es jetzt Sache der Argeier sei, sich des Peloponnes anzunehmen und einen Beschluß zu fassen, wonach allen unabhängigen, einander gegen­ seitig Rechtsgleichheit zugestehenden griechischen Staaten an­

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heimgestellt würde, ein Schutzbündnis mit Argos einzugehen. Sie dürften damit jedoch nur wenige Männer betrauen^und die Sache nicht vor das Volk bringen, um niemand bloßzu­ stellen, falls dieses nicht dafür zu haben sein sollte. Sie ver­ sicherten auch, daß bei dem Haß gegen die Lakedämonier viele einem solchen Bündnis beitreten würden. Nachdem sie ihnen das unter den Fuß gegeben, reisten auch die Korinther nach Hause.

Jene Herren in Argos brachten die ihnen gemachten Vor­ schläge an die Regierung und das Volk, und die Argeier stimmten ihnen zu, wählten auch zwölf Männer, mit denen . alle Griechen, die dazu bereit, das Bündnis schließen könnten, nur die Athener und die Lakedämonier ausgenommen, mit denen ohne Zustimmung des argeiischen Volks kein Bündnis geschlossen werden sollte. Die Argeier waren darauf um so lieber eingegangen, weil sie beim Ablauf des Friedens den Krieg mit den Lakedämoniern kommen sahen und sich außer­ dem auf die Hegemonie im Peloponnes Hoffnung machten. Denn Lakedämon stand um die Zeit in der Tat in schlechtem Ruf und hatte infolge seiner Niederlagen sehr an Ansehen eingebüßt; Argos dagegen war in Flor, da es an dem attischen Kriege nicht teilgenommen, sondern mit beiden Teilen in Frieden gelebt und dabei sein Schäfchen geshcoren hatte. So waren die Argeier in der Lage, alle Griechen, die dazu bereit, in ihren Bund aufzunehmen.

Die ersten, die sich ihnen anschlössen, waren die Mantineer und ihre Bundesgenossen, und zwar aus Furcht vor den Lake­ dämoniern. Die Mantineer hatten sich nämlich noch während des Krieges mit den Athenern ein Stück von Arkadien angeeignet und sagten sich, daß die Lakedämonier das jetzt, wo sie wieder freie Hand hatten, nicht länger dulden würden. Sie schlossen sich also nicht mehr wie gern an Argos an, in Anbetracht, daß dieses ein mächtiges, dazu wie sie demokratisches Gemein­ wesen war, das den Lakedämoniern immer das Widerspiel gehalten hatte. Nach dem Abfall der Mantineer aber hieß es im Peloponnes allgemein, man müsse es auch so machen, da

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man glaubte, es würden ihnen für den Übertritt wohl noch besondere Vorteile in Aussicht gestellt sein. Zudem war man auf die Lakedämonier schlecht zu sprechen, namentlich auch deshalb, weil in dem Vertrage mit den Athenern bestimmt war, daß es beiden Staaten, Athen und Lakedämon, nach dem Eide unbenommen sein solle, nach ihrem Belieben etwas hinzuzusetzen oder zu streichen. Grade diese Bestimmung erregte nämlich bei den Peloponnesiern besonderen Anstoß und den Verdacht, die Lakedämonier gingen darauf aus, sie mit Hilfe der Athener zu unterdrücken; denn von Rechts wegen hätte die Befugnis zu einer solchen Änderung nur der Gesamtheit der Bundes­ genossen eingeräumt werden dürfen. Aus Furcht davor waren die meisten gleich bereit, auch ihrerseits ein Bündnis mit den Argeiern zu schließen.

Als die Lakedämonier merkten, daß es im Peloponnes gärte und daß die Korinther dahinter steckten und sich selbst mit Argos verbinden wollten, schickten sie Gesandte nach Korinth, um dem beizeiten vorzubeugen. Sie warfen den Korinthern vor, sie seien an allem schuld und würden eidbrüchig werden, wenn sie sich von ihnen lossagten und ein Bündnis mit den Argeiern eingingen. Schon daß sie den Frieden mit den Athenern nicht angenommen, sei unrecht gewesen, da vorher ausgemacht worden sei, daß, sofern dem kein Hindernis von seiten der Götter oder Heroen entgegenstehe, Stimmenmehrheit der Bundes­ genossen entscheiden solle. Die Korinther, welche auch die übrigen Bundesgenossen, die den Frieden nicht angenommen, schon vorher zu sich bestellt hatten, gaben in deren Gegenwart den Lakedämoniern eine Antwort, worin sie zwar mit ihren Beschwerden, daß man die Athener nicht zur Herausgabe von Sollion und Anaktorion genötigt und wodurch sie sich weiter verkürzt glaubten, nicht gradezu herauskamen, aber sich darauf beriefen, sie hätten die vorderthrakischen Städte nicht im Stich lassen dürfen, da sie mit diesen, zuerst mit Potidäa bei dessen Abfall, und nachher auch noch mit anderen, besondere Bündnisse beshcworen hätten. Sie seien also nicht eidbrüchig geworden, wenn sie dem Frieden mit den Athenern nicht beigetreten

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wären, würden vielmehr ihre Eidespflicht verletzt haben, wenn sie jene im Stich gelassen, nachdem sie ihnen bei den Göttern Treue geshcworen. „Sofern dem kein Hindernis von seiten der Götter oder Heroen entgegenstehe", habe es geheißen, und dies sei ihrer Ansicht nach allerdings ein göttliches Hindernis gewesen. So äußerten sie sich in betreff des alten Bündnisses. Über das Bündnis mit den Argeiern, sagten sie, würden sie sich mit ihren Freunden benehmen und dann tun, was recht wäre. Hierauf reisten die lakedämonischen Gesandten wieder nach Hause. Zufällig waren damals auch Gesandte der Argeier in Korinth, welche den Korinthern anlagen, sich nicht lange zu bedenken und das Bündnis einzugehen. Die aber gaben ihnen anheim, sich zu der bei ihnen demnächst abzuhaltenden weiteren Zusammenkunft wieder einzufindet.