History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Vier Staatsreden aus Thucydides. Gürsching, Heinrich, translator. Augsburg: Wirth, 1856.

Männer von Sicilien! Ihr wisset, nicht die Ohnmacht meiner Vaterstadt oder ihre Erschöpfung durch den Krieg ist es, was mir diese Worte eingibt, sondern allein die uneigennützige Absicht, dem gesamten Sicilien den besten Rath zu ertheilen, den es nach meiner Ueberzeugung für dasselbe gibt. Ich möchte von dem Krieg und seinen Leiden anheben und über seine zahllosen Uebel mich verbreiten; indes ihr kennet sie ja. Denn so wenig Unkunde die Schuld trägt an einem aufgenöthigten Kriege, ebensowenig lässt sich die Eroberungslust durch Furcht von ihm zurückschrecken. Natürlich; ihr[*]() erscheinen die Vortheile grösser als die Gefahren, während man dort sich lieber den Kriegsgefahren aussetzen will, um einem gewissen Verlust zu entgehen. Aber eben wenn es sich ergibt, dass beide Grundsätze zur Unzeit in Anwendung gebracht werden, dann ist eine Mahnung zur Friedfertigkeit am Platze. Dies ist gerade unser Fall, und es liegt alles daran, dass wir uns davon überzeugen.

Hat uns nicht alle bisher die Erwägung unserer Sonderinteressen geleitet in diesem Kriege wie heute bei unsern Friedensvorschlägen, wo wieder hin und hergerechtet wird, und falls es nicht jedem gelingt, zu seinem Rechte zu kommen, der Wiederausbruch des Krieges in gewisser Aussicht steht?

Wisset aber, dass es heute, wenn wir klug sind, nicht über Sonderinteressen zu verhandeln gilt, sondern darüber, ob noch ein Mittel ist, ganz Sicilien vor den augenscheinlichen Eroberungsgelüsten Athens zu retten. Ueberzeugender in der That, als ich es vermöchte, mahnt Athen zu einer Beilegung unserer Händel.

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Denn was will der mächtigste Staat Griechenlands mit dieser kleinen Flotte an unsern Küsten, als auf unsere Fehler lauem und unter dem unverfänglichen Namen einer Bundeshülfe durch den Sehern der Grossmuth über seine wahren Absichten täuschen? Lasset es nur zum Kriege unter uns kommen und rufet sie dann herbei, sie, die nicht auf Einladung warten, sondern ungerufen erscheinen, vergeudet eure Mittel im verderblichen Bruderkrieg und arbeitet so ihrer Herrschsucht in die Hände[*]() , gewiss sie werden dann, wenn wir uns hinlänglich erschöpft haben, mit einer ganz andern Flotte kommen und das ganze Land sich zu unterwerfen suchen.

Wiewohl will man einmal sich dazu entschliessen, Hulfsvölker ins Land zu rufen, so sollte man doch vernünftigerweise, statt das Eigene dabei zuzusetzen, wenigstens für seinen Staat einen Gewinn absehen und nie vergessen, dass für unsere Städte, dass für Sicilien nichts so verderblich ist als der innere Hader, welcher angesichts der Gefahren des Gesamtvaterlandes jede Stadt mit der andern verfeindet. Dies sollten wir bedenken, und alle Bürger, alle Städte sich die Hand reichen und einmüthig zur Rettung Siciliens zusammenstehen. Wähne niemand, dass die Athener nur für die Dorier unter uns Feinde, die Chalcidenser aber durch ihre ionische Abstammung geschützt seien. Nicht die Theilung der Nationalität auf der Insel, nicht Hass nur gegen die einen führt sie her; nach den Gütem Siciliens steht ihr Sinn, und diese gehören uns allen an. Was war noch jüngst ihre Zuvorkommenheit gegen die chalcidischen Städte anders? Wann hatten ihnen diese je um der Bundesfreundschaft willen Hülfe geleistet, dass sie so zuvorkommend sich beeilten, aus der Vertragspflicht Ernst zu machen? Den Athenern indes sind ihre weitblickenden Eroberangsgedanken gar nicht zu verargen, und ich tadle überhaupt nicht die Herrschsucht, sondern einzig die bereitwillige Unterwürfigkeit[*]() . Ist es

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dem Menschen nun einmal angeboren, seine Ueberlegenheit geltend zu machen, warum nicht auch die Nothwehr gegen einen Angreifer? Was hälfe uns aber die Einsicht in unsre Lage[*]() , wenn wir nicht das Richtige vorkehrten, wenn wir nicht mit dem Vorsatz gekommen wären, alle muthig zusammenzutreten wider die gemeinsame Gefahr. Und wie leicht wäre sie abzuwenden, wenn wir unter einander Frieden machten; denn wenn sie niemand zu Hülfe ruft, können die Athener von ihrem Land her gar keinen Krieg anfangen. So vertauschen wir also nicht blos den Feind, sondern haben gleich umsonst Frieden statt des Bürgerzwistes und können die bösen Absichten dieser gleissnerischen Nothhelfer auf die gefahrloseste Weise zu schänden machen.

Dies sind die Vortheile, welche, alles wohl erwogen, Athen gegenüber zu gewinnen sind. Und warum sollten wir schon uns selber das gepriesene Glück des Friedens länger vorenthalten? Saget selbst, wird nicht jedes Gut, das wir besitzen, sowie jedes Uebel im Frieden besser geschirmt und leichter gehoben als im Kriege, erfreuen sich nicht auch Würden und Ehrenstellen, kurz alle Dinge, im Frieden eines gesicherteren Bestandes? Doch das bedarf nicht erst langen Beweises, so wenig als das Elend des Krieges. Möchte nur angesichts dieser Wahrheit niemand meine Worte verachten, möchten sie vielmehr einen jeden veranlassen in Zeiten auf seine Selbsterhaltung bedacht zu sein. Sollte aber jemand auf sein Recht oder seine Macht pochen bei seiner Hoffnung auf Erfolg, der möge das Schicksal fürchten und seine bittern Enttäuschungen. Wie viele haben nicht schon an einem Angreifer sich rächen, andere in Hoffnung auf vermeintliche Macht als Eroberer auftreten wollen und haben nicht etwa nur ihre Rache nicht befriedigt, sondern sie mit dem Leben bezahlen, und die andern, statt sich zu bereichern, noch ihr Eigenes darüber einbüssen müssen. Ja wenn die Nothwehr als der angegriffene Theil stets auch zu ihrem Rechte käme, wenn der Mächtige an seinem Selbstgefühl auch eine Bürgschaft hätte, und nicht die Ereignisse grösstentheils unter dem Gebot des Zufalls stünden, der, so blind er auch ist, doch dadurch wieder höchst heilsam sich erweist, dass die über alle verhängte Furcht der Fehdelust einen Damm entgegenstellt.

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